rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung mit Haftungsforderungen gemäß § 73 AO gegen Steuererstattungsansprüche im Insolvenzverfahren der Organgesellschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das FA kann, wenn eine Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erst im Insolvenzverfahren der Organgesellschaft „entdeckt” wurde, gegenüber dem Insolvenzverwalter mit Haftungsforderungen gemäß § 73 AO gegen die Steuererstattungsansprüche zuzüglich Zinsen aufrechnen, ohne, dass es des vorherigen Erlasses eines Haftungsbescheides, der Feststellung der Haftungsforderung oder ihrer Anmeldung zur Tabelle bedarf.

2. Das Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wonach die Aufrechnung unzulässig ist, wenn die aufgerechneten Steuererstattungsansprüche erst nach Insolvenzeröffnung entstanden sind, greift nicht deshalb ein, weil die Aufhebungsbescheide als formelle Voraussetzung der Steuererstattung erst im Insolvenzverfahren ergangen sind. Abweichendes folgt nicht aus dem BFH-Urteil vom 25. Juli 2012 (BFH, Urteil v. 25.7.2012, VII R 29/11), mit dem der BFH seine frühere Rechtsprechung, dass eine Erstattungsforderung insolvenzrechtlich bereits dann entstanden ist, wenn sie vor Insolvenzeröffnung bereits „ihrem Kern nach” begründet wurde, geändert hat.

3. Steuerbescheide – vorliegend Aufhebungsbescheide – sind unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB auszulegen.

4. Über einen (vermeintlichen) Anspruch des Insolvenzverwalters gegen das Finanzamt gemäß § 143 InsO auf Rückgewähr insolvenzrechtlich angefochtener Leistungen kann nicht in einem Abrechnungsbescheid entschieden werden, denn er ist kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis. Da es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt, kann er nur bei den Zivilgerichten eingeklagt werden.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2; AO § 218 Abs. 2, § 191 Abs. 1, § 73 S. 1; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 95 Abs. 1 S. 3, §§ 134, 143; BGB § 387

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 27.02.2020; Aktenzeichen V R 28/19)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Aufrechnung mit Haftungsforderungen gegen Steuererstattungsansprüche im Insolvenzverfahren.

Die X-GmbH (folgend: GmbH), die als Baubetreuer und Bauträger tätig war, hat beim Beklagten (dem Finanzamt – FA –) für 2007 – 2009 Steuererklärungen abgegeben, mit denen sie verbleibende Umsatzsteuern in Höhe von … EUR (2007), … EUR (2008) und … EUR (2009) erklärte. Die Erklärungen standen, da sie für 2007 und 2008 nicht zustimmungspflichtig waren und für 2009 am 31.1.2011 die Zustimmung gemäß § 168 Satz 2 Abgabenordnung (AO) erteilt wurde, Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich.

Über das Vermögen der GmbH wurde am 20.6.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

In einem Prüfungsbericht vom 16.2.2012, mit dem eine Außenprüfung bei der GmbH abgeschlossen wurde, äußerte die Prüferin die Ansicht, dass im Prüfungszeitraum (2007 – 2009) eine umsatzsteuerliche Organschaft mit dem Einzelunternehmen (Zeichenbüro) des X, der auch Gesellschafter (zu 99,6 %) und Geschäftsführer der GmbH war, bestanden habe. Dem folgend beantragte der Kläger mit Schreiben vom 16.3.2012 die Änderung der Steuerfestsetzungen und reichte unter dem 26.3.2012 berichtigte Umsatzsteuererklärungen für 2007 – 2009 mit einer verbleibenden Umsatzsteuer in Höhe von jeweils 0 EUR ein, um die für diese Jahre ungeachtet der Organschaft bezahlten Umsatzsteuern in Höhe von insgesamt …. EUR zur Insolvenzmasse zu ziehen.

Das FA lehnte mit Schreiben vom 23.4. und 29.6.2012 die Änderung der Steuerfestsetzungen bzw. eine Veranlagung entsprechend der berichtigten Steuererklärungen zunächst ab, da die Voraussetzungen einer Organschaft nicht vorlägen. Außerdem übersandte das FA dem Kläger unter dem 2.7.2012 Mitteilungen über Umsatzsteuer in Höhe von … EUR (2007), … EUR (2008) und … EUR (2009), mit denen die im Prüfungsbericht festgestellten Umsätze der GmbH als Steuerschuldner zugerechnet wurden.

Mit Schreiben vom 11.2.2013 erklärte der Kläger gegenüber dem FA gemäß § 134 Insolvenzordnung (InsO) die Anfechtung der ursprünglichen Steueranmeldungen und Zahlungen auf die Umsatzsteuer 2007 – 2009 sowie der Mitteilungen vom 2.7.2012, weil die GmbH unentgeltliche Leistungen i.S. dieser Vorschrift erbracht habe. Dies wurde vom FA mit Schreiben vom 27.3.2013 zurückgewiesen.

Da das FA in der Zwischenzeit zu der Ansicht gelangt war, dass doch eine Organschaft vorgelegen habe, erließ es gegen X am 6.3.2013 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2007 – 2009. Dieser teilte mit Schreiben vom 8.3.2013 dem FA unter Beifügung einer Vermögensaufstellung mit, dass es ihm unmöglich sei, die Steuernachforderungen zu bezahlen.

Daraufhin übersandte das FA dem Kläger am 25.6.2013 eine Haftungsmitteilung, wonach die GmbH (Organgesellschaft) gemäß § 73 AO für die Steuerschulden des X (Organträger) in Höhe von … EUR (2007), … EUR (2008) und … EUR (...

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