Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung eines Erbschaftsteuerbescheids nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 ErbStG. Nichtigkeit eines Verwaltungsakts

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Änderung eines Erbschaftsteuerbescheids nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 ErbStG setzt voraus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt sind.

2. Ein Verwaltungsakt ist nur dann ausnahmsweise nichtig, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen.

 

Normenkette

ErbStG § 29 Abs. 1 Nr. 4 S. 1; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 125 Abs. 1

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Finanzamt (FA) zu Recht die Aufhebung eines Erbschaftsteuerbescheids abgelehnt hat.

Die Klägerin, eine inländische gemeinnützige Stiftung (i.S.d. §§ 51 ff. der AbgabenordnungAO –), ist aufgrund notariellen Erbvertrags (…) Alleinerbin nach der am 21. November 2017 verstorbenen X (…).

X hatte zuvor ihren am 9. März 2016 verstorbenen Ehemann Y (…) aufgrund des o.g. Erbvertrags als Alleinerbin beerbt.

Ausgehend von der Erbschaftsteuererklärung der X, die am 1. Juni 2017 beim FA eingegangen ist, setzte das FA gegen X mit Erbschaftsteuerbescheid vom 23. August 2017 Erbschaftsteuer i.H.v. 468.635 EUR fest. Mit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändertem Erbschaftsteuerbescheid vom 27. März 2019 setzte das FA Erbschaftsteuer i.H.v. 458.090 EUR fest; der Bescheid vom 27. März 2019 war adressiert an die Klägerin, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, der Testamentsvollstrecker der am 21. November 2017 verstorbenen X und Stiftungsvorstand der Klägerin ist. Gegen keinen dieser beiden Erbschaftsteuerbescheide (vom 23. August 2017 und vom 27. März 2019) wurde Einspruch eingelegt.

Den mit Schriftsatz vom 2. November 2020 gestellten Antrag der Klägerin, den Erbschaftsteuerbescheid vom 27. März 2019 nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) aufzuheben, lehnte das FA mit Bescheid vom 25. November 2020 ab. Den hiergegen (mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2020) eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 17. Mai 2021 bei Gericht eingegangene Klage, zu deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vorträgt: Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, der keine eigenständige Korrekturvorschrift sei, seien im Streitfall erfüllt. Daher seien im Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen der Korrekturvorschrift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt. Die formelle Bestandskraft des Erbschaftsteuerbescheids vom 23. August 2017 stehe einer Änderung des (ebenfalls formell bestandskräftigen) Änderungsbescheids vom 27. März 2019 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht entgegen. Im Übrigen sei der Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 27. März 2019 nichtig i.S.d. § 125 AO. Schließlich sei der Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 27. März 2019 nach § 129 AO zu berichtigen.

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 25. November 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, den Erbschaftssteuerbescheid vom 27. März 2019 sowie den vorangegangenen Erbschaftssteuerbescheid vom 23. August 2017 aufzuheben, hilfsweise, für den Fall der Klageabweisung, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA ist der Ansicht, es habe die Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 zu Recht abgelehnt. In Ergänzung zur Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 trägt das FA vor: Der Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 27. März 2019 sei zwar materiell rechtswidrig, jedoch keinesfalls nichtig i.S.d. § 125 AO. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 AO lägen im Streitfall ebenfalls nicht vor, da entweder ein Fehler in der Gesetzesanwendung oder ein Fehler bei der Sachverhaltsaufklärung erfolgt sei. In beiden Fällen sei aber eine Korrektur nach § 129 AO ausgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vom FA vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2022 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

1.) Die zulässige, da insbesondere fristgerecht erhobene, Klage ist unbegründet.

2.) Der Ablehnungsbescheid vom 25. November 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 ist nicht zu beanstanden. Das FA hat zu Recht die Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 sowie des vorangegangenen Erbschaftssteuerbescheids vom 23. August 2017 abgelehnt. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus den nachfolgenden Erwägunge...

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