Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine rückwirkende Änderung einer Übergangsrechnung. Einkommensteuer 1993
Leitsatz (redaktionell)
Im Falle der Veräußerung einer freiberuflichen Praxis mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ist zum Zeitpunkt der Veräußerung zum Betriebsvermögensvergleich überzugehen. Rückstellungen sind in der Übergangsbilanz in der Höhe zu bilden, wie sie von buchführenden Steuerpflichtigen zu bilden gewesen wären. War zum Veräußerungszeitpunkt die Nichtbilanzierung einer Schadensersatzforderung materiell-rechtlich richtig, weil der Steuerpflichtige nicht mit einer Inanspruchnahme rechnen musste, so kommt bei der Verpflichtung zum Schadensersatz in einem späteren Veranlagungszeitraum eine rückwirkende Änderung des Steuerbescheids für das Veräußerungsjahr nach § 175 AO nicht in Betracht.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 4 Abs. 1, 3
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin war im Streitjahr 1993 als Kinderärztin freiberuflich tätig. Zum 31.12.1995 veräußerte sie ihre Praxis. Die Einkünfte des Jahres 1995 ermittelte sie bis zum Jahresende durch Einnahme-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 41 352 DM. Ferner legte die Klägerin dem Beklagten (Finanzamt – FA –) eine Berechnung des „Übergangsgewinns wegen Praxisveräußerung” vor, in der ein Übergangsgewinn in Höhe von 20 482 DM ermittelt wurde. Eine Rückstellung für eine Schadensersatzerforderung wegen eines ärztlichen Kunstfehlers wurde in der Berechnung nicht berücksichtigt.
Den Veräußerungsgewinn von 75 535 DM errechnete die Klägerin, indem sie den Verkaufspreis um den gemeinen Wert ihres PKW wegen Überführung in das Privatvermögen erhöhte und um die Buchwerte des verkauften Anlagevermögens kürzte. Eine Rückstellung für einen Schadensersatzanspruch wurde bei der Berechnung der Veräußerungsgewinns nicht berücksichtigt. Der Praxiserwerber war auch nicht verpflichtet, für ärztliche Kunstfehler der Klägerin aufzukommen. Im Einkommensteuerbescheid 1995 vom 29.4.1997 behandelte das FA den Veräußerungsgewinn erklärungsgemäß als steuerfrei. Der Bescheid, der einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte auswies und eine Steuer von 9 481 DM festsetzte, wurde bestandskräftig.
Die Klägerin war aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers vom … gegenüber einem Kind schadensersatzpflichtig. Bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung 1995 (April 1997) ging sie davon aus, dass der Schaden durch die Haftpflichtversicherung abgedeckt ist. Mit Schreiben vom 15.1.1998 trat die Haftpflichtversicherung erstmals an die Klägerin heran und wies darauf hin, dass ihre Haftsumme von 2 Mio DM zu niedrig ist. Im Rahmen eines im Juni 1998 geschlossenen Vergleichs mit der geschädigten Krankenkasse des Kindes musste die Klägerin aus eigenen Mitteln noch einen Betrag von 150 000 DM zuzahlen. 75 000 DM zahlte sie am 20.7.1998, den Rest mit monatlichen Raten von 5 000 DM in den Jahren 1998/1999. Mit Schreiben vom 29.12.1999 machte die Klägerin diesen Sachverhalt erstmals geltend und beantragte, den Steuerbescheid für 1995 rückwirkend zu ändern.
Mit Einkommensteuerbescheid 1995 vom 25.7.2000 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung 1995. Dabei ging es davon aus, dass der Betrag von 150 000 DM vorrangig den steuerfreien Veräußerungsgewinn mindere und berücksichtigte nur den überschießenden Betrag einkünftemindernd. Als Folge ergab sich ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte von 9 927 DM und eine Einkommensteuer 1995 von 0 DM. Den gegen den Änderungsbescheid 1995 vom 25.7.2000 eingelegten Einspruch wies das FA mit der Einspruchsentscheidung vom 7.2.2001 mangels Beschwer als unzulässig zurück.
Die Einkommensteuer für das Jahr 1993 hatte das FA mit dem Einkommensteuer-Änderungsbescheid 1993 vom 13.12.1995 bestandskräftig festgesetzt. Den von der Klägerin gestellten Antrag, einen Verlustrücktrag aus dem Jahr 1995 in das Streitjahr 1993 vorzunehmen, lehnte das FA mit Bescheid vom 8.2.2001 ab. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 8.10.2001).
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin macht weiter geltend, die Berechnung des positiven Gesamtbetrags der Einkünfte 1995 durch das FA sei unzutreffend. Der Praxiserwerber habe die Schadensersatzverpflichtung des FA nicht übernommen, so dass die Verbindlichkeit den Veräußerungsgewinn nicht berühre. Richtig sei es, den Betrag von 150 000 DM bei der Ermittlung des Übergangsgewinns abzuziehen und den laufenden Gewinn zu mindern, so dass sich ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte von 65 608 DM ergebe. Bei Erstellung der Einnahmen-Überschussrechnung 1995, dem Übergang zum Bestandsvergleich zum 31.12.1995 und der Ermittlung des Veräußerungsgewinns zum 31.12.1995 hätten die Schadensersatzaufwendungen zunächst nicht berücksichtigt werden können, da sie bei der Erstellung der Gewinnermittlungen 1995 und der Steuererklärung 1995 noch nicht bekannt und auch nicht zu erwarten waren. Zu den Einzelheiten d...