Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente aus einem bisher nicht erfassten Rechtsgrund als neue Tatsache. Höhe und Zuflusszeitpunkt als Elemente der Gesamttatsache. Treu und Glauben. Ermittlungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Vorliegen von Renteneinkünften stellt zusammen mit deren Höhe und dem Zuflusszeitpunkt eine einheitliche Tatsache im Sinne von § 173 AO dar.
2. Die erstmalige Erklärung einer Rente aus einem bisher nicht erfassten Rechtsgrund ist im Rahmen des § 173 AO einer erstmaligen Erklärung von Einkünften einer Einkunftsart gleichzustellen.
3. Erhält das Finanzamt von einer bislang nicht erklärten Rente des Steuerpflichtigen Kenntnis, so ist es nicht deshalb nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an der steuerlichen Erfassung als neue Tatsache gehindert, weil es zunächst aus anderen Gründen Änderungsbescheide ohne Berücksichtigung der Rente erlassen und weitere Ermittlungen zu Höhe und Zuflusszeitpunkt der Renteneinkünfte angestellt hat.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 88; EStG 1990 § 22 Nr. 1; EStG 1997 § 22 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einkommensteuer(ESt)-Bescheide 1992 und 1995 bis 1998 aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändert werden konnten.
Der während des Klageverfahrens verstorbene Großvater der Kläger (Gesamtrechtsnachfolger) erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte und wurde im Jahr 1992 allein, in den Jahren 1995 bis 1998 zusammen mit seiner Ehefrau, die neben ihren Einkünften aus selbständiger Arbeit ebenfalls Einkünfte aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte bezog, beim Finanzamt (FA) M (= der Beklagte) zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Die Ehefrau des Großvaters der Kläger verstarb am 11. Januar 1999. Alleiniger Rechtsnachfolger war der Großvater der Kläger.
Die ESt-Erklärungen der Jahre 1992 und 1995 bis 1998 wurden jeweils im zweiten Jahr nach Ende des jeweiligen Veranlagungszeitraums abgegeben. Die der ESt-Erklärung für 1992 beigefügte Anlage KSO enthielt auf Seite 1 Angaben zu Zinseinkünften, auf der Seite 2 jedoch keine Angaben über etwaige Renteneinkünfte (insbesondere Altersruhegeld bzw. Altersrenten aus Arbeiterrenten- oder Angestelltenversicherungen). In den Steuererklärungen der Jahre 1993 bis 1998 wurden u.a. Renteneinkünfte der Ehefrau des Großvaters der Kläger aus einer Altersrente bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ab 1. September 1993 und des Großvaters der Kläger aus einer Leibrente der B-Lebensversicherung ab 1. Januar 1994 als sonstige Einkünfte erklärt.
Die ESt-Bescheide 1992 vom 31. August 1994 (ESt: 84.969 DM), 1995 vom 27. August 1997 (ESt: 73.062 DM), 1996 vom 13. August 1998 (ESt: 33.983 DM) und 1997 vom 10. Juni 1999 (ESt: 19.294 DM) wurden im Rahmen der regulären Veranlagung letztmalig am 8. August 2000 (1992 – ESt: 84.960 DM und 1995 – ESt: 67.744 DM), 7. September 1998 (1996 – ESt: 30.429 DM) und 27. Juli 1999 (1997 – ESt: 18.168 DM) geändert. Der ESt-Bescheid 1998 erging am 12. Mai 2000 (ESt: 32.315 DM). Die ESt-Bescheide für 1992 und 1995 ergingen endgültig. Die ESt-Bescheide für 1996 bis 1998 waren vorläufig im Hinblick auf anhängige Revisionsverfahren und Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, im Übrigen endgültig. Alle Bescheide wurden mit Ausnahme der für vorläufig erklärten Punkte bestandskräftig.
Mit Bericht vom 14. März 2002, eingegangen beim Beklagten am 27. März 2002, teilte die Steuerfahndung R dem Beklagten bisher nicht erklärte Kapitaleinkünfte des Großvaters der Kläger und dessen Ehefrau in den Jahren 1989 bis 1998 mit. Die Schlussbesprechung über die Feststellungen der Steuerfahndung, bei der über das Prüfungsergebnis Einigung erzielt worden war, fand am 11. März 2002 statt. Verteidiger im Strafverfahren war der Prozessbevollmächtigte der Kläger. Dieser hatte auch die ESt-Erklärungen erstellt.
Das FA wertete die Feststellungen aus, änderte die ESt-Bescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen neuer Tatsachen zu Ungunsten des Großvaters der Kläger und setzte die ESt nach abschließender Zeichnung der Sachbearbeiterin am 24. Mai 2002 und des Sachgebietsleiters am 28. Mai 2002 jeweils unter dem Datum vom 13. Juni 2002 (Rechentermin 3. Juni 2002) 1992 mit 46.146,14 EUR (= 90.254 DM), 1995 mit 47.619,17 EUR (= 93.135 DM), 1996 mit 28.614,96 EUR (= 55.966 DM), 1997 mit 33.661,92 EUR (= 65.837 DM) und 1998 mit 26.078,95 EUR (= 51.006 DM) fest.
Mit der ESt-Erklärung 1999 vom 8. April 2002, eingegangen beim FA am 11. April 2002, wurden erstmals Einkünfte aus einer Altersrente des Großvaters der Kläger bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erklärt. Aus der zusätzlich eingereichten „Ergän...