Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug – trotz Gutgläubigkeit – nur aus Billigkeitsgründen möglich, wenn die Identität des Leistungsgebers nicht mit den Rechnugnsangaben übereinstimmt. FA muss nachweisen dass der Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wurde
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Vorsteuerabzug ist nicht möglich, wenn die Identität des leistenden Unternehmers nicht mit den Rechnungsangaben übereinstimmt.
2. Wenn der Leistungsempfänger über die Identität des Leistenden getäuscht worden ist, kann er sich im Festsetzungsverfahren nicht darauf berufen, gutgläubig gewesen zu sein. Ein Vorsteuerabzug kommt dann nur im Billigkeitsverfahren in Betracht.
3. Voraussetzung hierfür ist nach der Rechtsprechung des BFH, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig gewesen ist und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist.
4. Wenn nachgewiesen ist, dass die streitgegenständliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich bewirkt und diese Gegenstände vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet worden sind, kann das Recht auf Vorsteuerabzug nach der Rechtsprechung des EuGH aber nur dann versagt werden, wenn das FA das Vorliegen objektiver Umstände nachgewiesen hat, die den Schluss zulassen, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird.
5. Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer ist deshalb nicht verpflichtet, einen echten „Negativbeweis” dahingehend zu führen, dass er zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Lieferung keine Anhaltspunkte für etwaige Ungereimtheiten in Bezug auf den Leistenden gehabt hat. Dies hat das FA bei seiner Ermessensentscheidung über einen Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen zu berücksichtigen.
Normenkette
UStG § 14 Abs. 4 S. 1 Nrn. 1-2, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 163; FGO § 101 S. 2, § 102; UStAE Abschn. 15.2. Abs. 3 S. 4; UStAE Abschn. 15.2. Abs. 3 S. 6
Nachgehend
Tenor
1. Der Ablehnungsbescheid vom 2. Februar 2010 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 werden aufgehoben.
Das Finanzamt wird verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) zu Recht den Vorsteuerabzug der Klägerin gekürzt und eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen abgelehnt hat.
Die Klägerin erzielt steuerpflichtige Umsätze aus der Lagerung, Kommissionierung und Verteilung von Gütern aller Art. Gesellschafter der Klägerin sind A und P K. Mit ihrer Umsatzsteuererklärung 2006 vom 15. Januar 2008 machte sie abziehbare Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern in Höhe von 83.093,99 EUR geltend.
Dem geltend gemachten Vorsteuerabzug liegen im Wesentlichen zwei Rechnungen der Fa. H Prag/Tschechien vom 5. Dezember 2005 und 11. Januar 2006 über die Lieferung von Nickel-Kathoden zum Preis von 249.674,99 EUR zzgl. 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 39.948,– EUR und 258.022,57 EUR zzgl. 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 41.283,61 EUR zu Grunde. Auf den Rechnungen ist die Steuernummer …/…/1487 angegeben. Die Rechnungen enthalten den Hinweis, dass die Verladung im Lager N bei der Fa. M nur in Absprache mit dem Mitarbeiter J erfolgen dürfe.
Mit Schreiben vom 3. März 2008 teilte das Finanzamt X dem beklagten Finanzamt mit, dass H keine Geschäftstätigkeit ausgeübt und niemals Verfügungsmacht über die angeblich an die Klägerin gelieferten Waren gehabt habe. Die streitgegenständlichen Rechnungen seien deshalb zu Unrecht ausgestellt worden, mit der Folge, dass die darin ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden könne.
Das Finanzamt X legte dazu Niederschriften über die Beschuldigtenvernehmung von Frau B, der Geschäftsführerin der Fa. H, am 17. November 2006 und über die Zeugenvernehmung von Herrn A K, dem Geschäftsführer der Klägerin, am 8. November 2007, vor.
Im Rahmen der daraufhin von der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen wurde festgestellt, dass die Waren von einer niederländischen Spedition ab dem Lager der Fa. M in N direkt zum Abnehmer nach Italien transportiert wurden. Die Klägerin stellte die Lieferungen dem italienischen Abnehmer in Rechnung, der diese per Überweisung bezahlte. Die Klägerin überwies die Rechnungsbeträge auf das auf den Rechnungen angeg...