Entscheidungsstichwort (Thema)
Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern
Leitsatz (redaktionell)
1. „Ortsfeste betriebliche Einrichtungen” im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.
2. Verfügt der Entleiher über eine solche Einrichtung und ist der Leiharbeitnehmer dieser aus einer ex-ante-Betrachtung dauerhaft zugeordnet, handelt es sich dabei um seine erste Tätigkeitsstätte.
3. Maßgebliches Arbeitsverhältnis für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung im Sinne des § 9 Abs. 4 Sätze 1-3 EStG dauerhaft zugeordnet ist, ist das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-)Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis.
4. Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung gebietet keine Neubeurteilung der ersten Tätigkeitsstätte im jeweiligen Veranlagungszeitraum.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 Sätze 1-2, Abs. 4 Sätze 1-3
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger wird beim beklagten Finanzamt mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger war seit dem 23.04.2014 bei der Firma Z (nachfolgend: Zeitarbeit) beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 28.11.2014 befristet. Die Befristung wurde bis zum 27.11.2015 verlängert. Ab dem 28.11.2015 bestand ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit. Das zunächst zeitlich befristete Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit wurde jeweils vor Ablauf der Befristung ohne Änderung der sonstigen Vereinbarungen verlängert bzw. in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt.
Der Kläger leistete während seines Arbeitsverhältnisses mit der Zeitarbeit folgende Einsätze:
23.04.2014 – 10.10.2014 A
12.11.2014 – 16.11.2014 B
17.11.2014 – 11.01.2015 C
12.01.2015 – 18.01.2015 D
29.01.2015 – 01.02.2015 C
02.02.2015 – 31.03.2015 R
01.04.2015 – 31.08.2018 R
Die Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher erfolgten zunächst per Auftragsbestätigung. Darin ist jeweils der Beginn der Überlassung bestimmt; für das Ende ist jeweils „vorübergehend” angegeben. Nach der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zum 01.04.2017, das eine zeitliche Höchstgrenze für Arbeitnehmerüberlassungen vorsieht, schlossen die Zeitarbeit und der Entleiher, die Firma (nachfolgend: R) einen neuen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, bei dem als Ende der Überlassung des Klägers „vorübergehend” angegeben ist. Die Überlassungshöchstdauer nach dem AÜG wurde mittels Software von der Zeitarbeit überwacht. Seit September 2018 ist der Kläger bei der R fest angestellt.
In den Steuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger jeweils Fahrtkosten zur Arbeitsstelle nach Reisekostengrundsätzen geltend. In den Einkommensteuerbescheiden für 2017 vom 16.01.2020 und für 2018 vom 20.05.2019 berücksichtigte das Finanzamt die Fahrtkosten im Rahmen der Entfernungspauschale.
Die Einsprüche gegen die Steuerfestsetzungen begründete der Kläger damit, dass der Entleiher nicht die erste Tätigkeitsstätte sein könne, da der Kläger – selbst nachdem das Arbeitsverhältnis mit der Zeitarbeit in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt worden sei – jederzeit mit einer Versetzung zu einem anderen Arbeitgeber habe rechnen müssen. Zudem sehe das seit dem Jahr 2017 geänderte AÜG eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten beim selben Kunden vor.
Mit Einspruchsentscheidung vom 05.05.2020 wies das Finanzamt die Einsprüche als unbegründet zurück.
Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers sei als einheitliches Beschäftigungsverhältnis beginnend am 23.04.2014 zu betrachten. Dem Entleiher sei der Kläger dauerhaft zugeordnet, da der Einsatz des Klägers beim Entleiher nicht kalendermäßig begrenzt gewesen sei. Eine mögliche Umsetzung oder Versetzung zu einer anderen Firma stehe der dauerhaften Zuordnung nicht entgegen. Aufgrund der Neuregelung des AÜG sei eine ex-ante Betrachtung durchzuführen. Danach sei eine Entleihung, beginnend mit dem 23.04.2014 bis 01.09.2018, also länger als 48 Monate, geplant gewesen. Aufgrund dieser dauerhaften Zuordnung sei der Entleiher R die erste Tätigkeitsstätte des Klägers.
Mit der Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Berücksichtigung der Fahrtkosten nach der Entfernungspauschale.
Eine erste Tätigkeitsstätte sei nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer dieser dauerhaft zugeordnet sei. Für die Beurteilung einer dauerhaften Zuordnung sei eine ex-ante Bewertung durchzuführen. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers zunächst zweimal befristet und damit kalendermäßig begrenzt war, sei zunächst keine dauerhafte Zuordnung gegeben. Nach der Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ab dem 28.11.2015 sei zunächst eine dauerhafte Zuordnung zu bejahen. Ab dem 01.04.2017 ...