rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung der Umsätze aus heilpädagogischer Tätigkeit. Umsatzsteuer 1999, 2000 (Sprungklage)
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit eine staatlich anerkannte Heilpädagogin auf ärztliche Anordnung Förderdiagnostik sowie heilpädagogische Behandlungen z.B. von ADS, Legasthenie, Enuresis, Enkopresis, Dyslalie, Stottern sowie Wahrnehmungsstörungen durchführt, um bei den Patienten drohende Behinderungen abzuwenden oder den fortschreitenden Verlauf einer Behinderung zu verlangsamen oder die Folgen einer Behinderung zu beseitigen oder zu mindern, sind ihre Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit (vgl. Rechtsprechung zum Begriff der „Heilbehandlung” i.S. der 6. EG-Richtlinie).
2. Soweit die Tätigkeit der Heilpädagogin nicht nur auf die Diagnose und Behandlung von Gesundheitsstörungen gerichtet ist und sie für die Sozial- und Jugendämter verschiedener Landkreise heilpädagogische Leistungen an behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder erbringt, zu deren Erbringung die Behörden gesetzlich, insbesondere gemäß §§ 39, 40 Bundessozialhilfegesetz und § 35 a SGB VIII, verpflichtet sind, kann sich die Heilpädagogin für die Steuerbefreiung ihrer Leistungen auch unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie berufen.
Dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie nur teilweise, nämlich durch § 4 Nr. 15, 16 und 18 UStG, nicht aber hinsichtlich der Leistungen der Klägerin, in nationales deutsches Recht umgesetzt worden ist, steht dem nicht entgegen.
Normenkette
UStG 1999 § 4 Nr. 14 S. 1; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h, g, c; SGB VIII § 35a; BSHG §§ 39-40
Tenor
1. Der Beklagte wird verpflichtet, unter Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1999 und 2000 die Umsatzsteuer jeweils auf 0 EUR festzusetzen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin betreibt eine heilpädagogische Praxis.
Mit Schreiben vom 20. November 1998 (Bl. 4 der Umsatzsteuerakte) widerrief das beklagte Finanzamt (Finanzamt) seine sog. verbindliche Auskunft vom 1. Februar 1990 (Bl. 6 Umsatzsteuerakte), wonach für die Tätigkeit der Klägerin als Heilpädagogin die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eingreife, und forderte die Klägerin zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen auf.
In ihren Umsatzsteuererklärungen für 1999 (eingegangen beim Finanzamt am 18. Dezember 2000) und 2000 (eingegangen am 14. Dezember 2001) berechnete die Klägerin eine Steuer von 12.231,70 DM für 1999 und von 16.029,71 DM für 2000.
Mit Schreiben vom 19. November 2002 beantragte die Klägerin die Aufhebung der Umsatzsteuerfestsetzungen für 1999 und 2000, da sie als Heilpädagogin gemäß § 4 Nr. 14 UStG nicht umsatzsteuerpflichtig sei.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 21. November 2002 erhob die Klägerin Sprungklage, der das Finanzamt innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift zustimmte (Bl. 14 FG-Akte).
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor: Sie sei staatlich anerkannte Heilpädagogin und seit 1989 selbständig tätig. Für die Sozial- und Jugendämter verschiedener oberbayerischer Landkreise erbringe sie heilpädagogische Leistungen an Behinderte oder von Behinderung bedrohte Patienten, zu deren Erbringung die Behörden gesetzlich, insbesondere gemäß §§ 39, 40 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und § 35 a KJHG/ SGB VIII, verpflichtet seien. Die Abrechnung erfolge direkt mit den Landkreisen als den zuständigen Kostenträgern. Sie, die Klägerin, sei seit 1988 staatlich anerkannte Heilpädagogin. Ihre Praxis sei seit 1993 vom zuständigen Fachverband, dem Berufsverband der Heilpädagogen e.V., nach Prüfung der erforderlichen satzungsmäßigen Voraussetzungen anerkannt. Sie besitze damit den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis. Auch die Sozial- und Jugendämter hätten sie nach Prüfung ihrer beruflichen Befähigungsnachweise zur Leistungserbringung zugelassen. Ferner sei die ihrer staatlichen Abschlussprüfung zugrunde liegende Ausbildung und die zugrunde liegende Ausbildungsordnung mit anderen Katalogberufen vergleichbar. Der staatlichen Anerkennungsprüfung sei eine zweijährige Ausbildung an der Fachakademie für Heilpädagogik der Landeshauptstadt München vorausgegangen.
In den Streitjahren habe sie medizinisch indizierte und nicht lediglich pädagogische oder sozialpflegerische Leistungen erbracht. Ihre Tätigkeit sei daher die eines Heilhilfsberufs und mit anderen Katalogberufen vergleichbar. Die Behandlungen erfolgten im Jahr 1999 bis auf zwei Fälle und im Jahr 2000 bis auf drei Fälle auf ärztliche Anordnung, in vielen Fällen sogar auf Anordnung eines Kinder- und Jugendpsychiaters. Ihre Leistungen wie Förderdiagnostik (Anamneseerhebung, standardisierte psychometrische und projektive Testverfahren), Übungsprogramm zur visuellen Wahrnehmung (z.B. nach M. Frostig), Ü...