rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Nachzahlungszinsen wegen Verzögerung der Außenprüfung. Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das Finanzamt – hier Unterbrechung der Außenprüfung von 23 Monaten – ist grundsätzlich nicht geeignet, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Für die Anwendung des § 233a AO ist ein Verschulden prinzipiell irrelevant, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses.
2. Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe nach § 238 AO betreffen die einfach-rechtlichen Grundlagen und damit die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen. Eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen kann nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden.
Normenkette
AO § 3 Abs. 4, § 37 Abs. 1, §§ 227, 233a, 238; FGO § 101 S. 1, § 102
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) zu Recht einen Erlass von Zinsen zur Körperschaftsteuer für die Jahre 2006, 2007, 2009, 2010 und 2012 abgelehnt hat.
Im Zeitraum 5. Oktober 2010 bis 21. November 2014 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung mit Prüfungszeitraum 2006 bis 2008 statt (Prüfungsanordnung vom 21. September 2010). Zudem erfolgte für diese Jahre eine Fachprüfung für versicherungsmathematische Fragen.
Im Zeitraum 6. Februar 2014 bis 21. November 2014 fand eine Anschlussprüfung statt, die u.a. die Jahre 2009 bis 2012 umfasste (Prüfungsanordnung vom 15. Januar 2014). Auch für diesen Prüfungszeitraum fand eine versicherungsmathematische Prüfung statt, die im Zeitraum 6. Februar 2014 bis 21. November 2014 erfolgte.
Die Außenprüfungen führten u.a. zur Feststellung von verdeckten Gewinnausschüttungen – im Wesentlichen aufgrund überhöhter Gehälter – sowie von überhöhten Rückstellungen im Hinblick auf die Arbeitszeitkonten der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin (Prüfungsberichte vom 16. Dezember 2014). Über die Prüfungsfeststellungen bestand Einvernehmen.
Die Außenprüfung für den Prüfungszeitraum 2006 bis 2008 verlief – bis zur Beteiligung der Prüferin für versicherungsmathematische Fragen im Jahr 2012 – wie folgt:
Der Prüfer begann Anfang Oktober 2010 mit der Prüfung. Er nahm die Sichtung der Unterlagen in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters der Klägerin vor. Ende Oktober 2010 schloss er die belegmäßige Prüfung der Unterlagen ab und teilte dem steuerlichen Vertreter der Klägerin mit, dass eventuell eine Fachprüfung für versicherungsmathematische Fragen erfolgen müsse. Mit Zwischennachricht vom 30. September 2011 teilte er dem steuerlichen Vertreter der Klägerin zum Stand der Prüfung mit, dass diese noch nicht abgeschlossen sei und fachliche Fragen zu Rückstellungen (Arbeitszeitkonten) noch amtsintern zu klären seien. Mit Schreiben vom 29. August 2012 beantragte er beim Bayerischen Landesamt für Steuern die Beteiligung eines Fachprüfers für versicherungsmathematische Fragen. Am 5. September 2012 teilte ihm das Bayerischen Landesamt für Steuern mit, dass sich eine Fachprüferin an der Prüfung beteiligen werde. Dies teilte der Prüfer dem steuerlichen Vertreter der Klägerin mit Schreiben vom 5. Oktober 2012 mit und forderte Unterlagen für die versicherungsmathematische Prüfung an. Ein weiteres Schreiben des Prüfers vom 22. November 2012 an den steuerlichen Vertreter der Klägerin, welches die Anforderung von Unterlagen zum Gegenstand hatte, enthält folgenden Satz: „Ich bedauere, dass durch mein Verschulden ein Abschluss der Betriebsprüfung erheblich verzögert worden ist.”
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verlaufs der Außenprüfungen wird auf die schriftliche Stellungnahme des Prüfers vom 30. Juli 2015 sowie das Schreiben der Klägerin vom 30. Juni 2016 Bezug genommen.
Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ am 30. Januar 2015 u.a.
geänderte Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre. Die Körperschaftsteuer und Zinsen zur Körperschaftsteuer wurden wie folgt festgesetzt:
|
2006 |
2007 |
2009 |
2010 |
2012 |
Körperschaftsteuer |
234.092 EUR |
88.475 EUR |
12.033 EUR |
0 EUR |
53.540 EUR |
Zinsen zur Körperschaftsteuer |
94.833 EUR |
33.398 EUR |
1.295 EUR |
2.659 EUR |
2.675 EUR |
Die Klägerin legte gegen die Festsetzung der Zinsen zur Körperschaftsteuer für die Streitjahre Einspruch ein. Die Einsprüche blieben erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 29. April 2016). Die hiergegen für die Jahre 2006, 2007, 2009, 2010 und 2012 beim Finanzgericht erhobene Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 21. Juli 2017 abgewiesen (Az.: 7 K 1505/16).
Mit Schreiben vom 9. Juni 2015 beantragte die Klägerin einen Teilerlass der Nachzahlungszinsen in Höhe von 75%, die durch die von der Finanzbehörde zu vertrete...