rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Überleitung bzw. Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 EStG 2002 an den Jugendhilfeträger
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers nach § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X verlangt die Gleichartigkeit der Leistungen des Leistungsträgers und des Kindergeldes. Eine Gleichartigkeit liegt bei dem in einer Einrichtung gewährten Lebensunterhalt oder Sachleistungen im Rahmen einer Heimerziehung oder betreuten Wohnform einerseits und Kindergeld als Geldleistung andererseits nicht vor.
2. Die Erstattung von Kindergeld nach § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 SGB X an einen Jugendhilfeträger setzt einen Kostenbeitragsbescheid (Ermessensentscheidung des Jugendhilfeträgers, ob und in welchem Umfang von dem Kindergeldberechtigten ein Kostenbeitrag erhoben werden soll) gegenüber dem Kindergeldberechtigten voraus.
3. Nur wenn die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 EStG vorliegen, kann die Auszahlung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG auch an die Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt (im Streitfall: Jugendhilfeträger). § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG ist nicht isoliert zu betrachten, sondern bewirkt lediglich eine Erweiterung der in Betracht kommenden Auszahlungsempfänger.
4. Die Familienkasse musste das Kindergeld nicht an den Jugendhilfeträger überleiten und auszahlen, wenn ein Elternteil im streitigen Zeitraum tatsächlich Unterhalt in Form von Geldleistungen i.H.v. monatlich 153,39 EUR an den Jugendhilfeträger erbracht hat. Dass der Jugendhilfeträger später die mangelnde Leistungsfähigkeit des Elternteils festgestellt und an diesen daraufhin eine Rückzahlung geleistet hat, führt nicht zu einem rückwirkenden Anspruch des Jugendhilfeträgers auf Abzweigung von Kindergeld für den streitigen Zeitraum.
5. Die Auszahlung bzw. Abzweigung des Kindergelds betrifft das Erhebungsverfahren. In diesem Verfahren ist zu entscheiden, wer Auszahlungsempfänger des festgesetzten Kindergelds ist und ob ein Anspruch auf Abzweigung nach § 74 EStG besteht. Der Kindergeldanspruch als Rechtsgrund für die Zahlung bleibt insoweit unberührt.
Normenkette
EStG 2002 § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3-4, Abs. 2; SGB X § 104 Abs. 1 Sätze 1, 4, Abs. 2; AO § 37 Abs. 2, §§ 38, 155 Abs. 4, § 175 Abs. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Kindergeld nach § 74 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch (SGB) X bzw. dessen Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG an den Kläger.
Kläger ist ein Landkreis. Er kam im Streitzeitraum November 2001 bis August 2002 für die Kosten der Unterbringung und Betreuung des am 15. Oktober 1983 geborenen Sohnes des Beigeladenen in einem Kinderheim auf. Mit Schreiben vom 18. Februar 1998 beantragte der Kläger bei der beklagten Familienkasse eine Erstattung von Kindergeld, das dem Beigeladenen für seinen Sohn gewährt wurde, nach § 74 Abs. 5 EStG 1998 (nunmehr: § 74 Abs. 2 EStG) i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X als teilweisen Ersatz für zugunsten des Kindes erbrachte Leistungen der Jugendhilfe in Form von Heimerziehung. Der Beklagte gab dem Antrag auf Überleitung nach § 74 Abs. 5 EStG 1998 mit Bescheid vom 25. Februar 1998 statt und zahlte das Kindergeld i.H.v. 220 DM in der Zeit von März 1998 bis einschließlich Oktober 2001 an den Kläger aus.
Im Rahmen der Überprüfung des Anspruchs auf Kindergeld für ein Kind über 18 Jahre legte der Beigeladene dem Beklagten einen Berufsausbildungsvertrag für den Sohn vor und teilte mit, dass der Sohn aus dem Heim ausziehen und ab 2. Februar 2002 in einem Zimmer bei seinem Ausbildungsbetrieb in München wohnen werde. Der Sohn komme alle zwei Wochen an den Wochenenden sowie im Urlaub in den Haushalt der Eltern zurück. Auf Anfrage des Beklagten teilte der Kläger mit Schreiben vom 11. April 2002 mit, dass der Beigeladene einen Kostenbeitrag von monatlich 132,46 EUR erbringe und kein Leistungsbescheid erlassen worden sei. Mit Schreiben vom 6. Juni 2002 an den Beklagten gab der Kläger an, der Beigeladene komme seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nach, er sei mangels Leistungsfähigkeit auch nicht unterhaltspflichtig. Auf die darauf folgende Anfrage des Beklagten beim Beigeladenen legte dieser einen Leistungsbescheid des Klägers an ihn und seine Ehefrau vom 4. Mai 2001 vor, in dem er aufgefordert wurde, ab 1. Oktober 2000 einen monatlichen Kostenbeitrag i.H.v. 414 DM zu leisten, sowie einen Kontoauszug vom April 2002, aus dem sich ergibt, dass bei der Bank des Beigeladenen zugunsten des Klägers ein Dauerauftrag über einen monatlichen Betrag i.H.v. 153,39 EUR bestand. Der Beklagte lehnte daraufhin eine Abzweigung von Kindergeld ab November 2001 mit Bescheid vom 26. Juni 2002 ab, gegen den der Kläger am 12. Juli 2002 Einspruch einlegte.
Der Kläger hat mit Bescheid vom 19. August 2002 gegenü...