Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Prozessvollmacht nach § 81 ZPO
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Prozessvollmacht i.S. des § 81 ZPO berechtigt auch zur Empfangnahme von Aufrechnungserklärungen außerhalb des Prozessgeschehens. Das gilt auch, wenn nur eine Instanzvollmacht erteilt und dem Bevollmächtigten das Urteil dieser Instanz schon zugestellt worden ist (hier: Aufrechnung von Haftungsansprüchen des Finanzamts gegen den Kostenerstattungsanspruch des Mandanten).
2. Prozesshandlung i.S.d. § 81 ZPO sind Handlungen, die dem Betriebe, der Entscheidung oder der Beendigung des Rechtsstreits oder der Durchführung der Entscheidung dienen. Dazu gehören auch materiell-rechtliche Willenserklärungen, wenn sie im Prozess abzugeben sind, wie etwa eine Aufrechnung, Wandlung, Minderung, Anfechtung, Kündigung oder ein Rücktritt dem Gegner gegenüber; in denselben Grenzen, in denen die Vollmacht zur Vornahme von Prozesshandlungen berechtigt, ist der Bevollmächtigte auch befugt, Prozesshandlungen des Gerichts oder des Gegners entgegenzunehmen.
Normenkette
ZPO § 81; FGO §§ 155, 62; AO § 226 Abs. 1; BGB § 387
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob durch die Aufrechnungserklärung der Klägerin vom 14. November 2002 ihre im Abrechnungsbescheid vom 6. Dezember 2002 genannten Steuerschulden erloschen sind.
Am 29. September 1999 wurde der Klägerin von Herrn G uneingeschränkte Prozessvollmacht in dem Klageverfahren vor dem Finanzgericht München wegen „Haftungsbescheid vom 17.12.1998 für Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuerrückstände der Fa. C-GmbH in Konkurs in Höhe von DM” erteilt. Auf diese wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 2. Oktober 2002 setzte die Kostenstelle des Finanzgerichts München gemäß § 149 Finanzgerichtsordnung (FGO) die dem Kläger G in diesem Verfahren mit dem Aktenzeichen 14 K 4354/99 vom FA zu erstattenden notwendigen Aufwendungen auf 14.302,57 EUR fest. Am 12. November 2002 trat Herr G diese Kostenerstattungsforderung gegen das FA an die Klägerin aufgrund deren fälliger Honorarforderungen ab; die Klägerin nahm die Abtretung an.
Mit Erklärung vom 13. November 2002, adressiert an die Klägerin und versehen mit der Steuer-Nummer der C-GmbH, rechnete das FA mit der Haftungsschuld aus dem Haftungsbescheid vom 17. Dezember 1998 i.H.v. 14. 302,57 EUR gegen den Erstattungsanspruch gem. § 149 FGO i.H.v. 14.302,57 EUR auf. Die Aufrechnungserklärung, auf die verwiesen wird, ging bei der Klägerin am 14. November 2002 im Laufe des Vormittags ein.
Mit Erklärung vom 14. November 2002 rechnete die Klägerin mit der von Herrn G abgetretenen Forderung gegen die Steuerschulden der Klägerin beim FA i.H.v. 17.483,47 EUR auf. Die Aufrechnungserklärung, auf die Bezug genommen wird, wurde von der Klägerin am 14. November 2002 vor 18.00 Uhr am Nachmittag in den Empfangsbriefkasten der FA eingeworfen und erhielt den Eingangsstempel 15. November 2002 „Frühleerung”.
Am 6. Dezember 2002 erließ das FA einen Abrechnungsbescheid nach § 218 AO mit dem Tenor, dass die bezeichneten Steuerschulden der Klägerin nicht durch die Aufrechnung der Klägerin mit dem ihr abgetretenen Kostenerstattungsanspruch des Klägers G aus dem Verfahren 14 K 4354/99 erloschen sind, weil der Kostenerstattungsanspruch des Klägers G aus dem Verfahren 14 K 4354/99 vorher durch Aufrechnung des FA mit dessen Haftungsschuld erloschen ist.
Dagegen legte die Klägerin am 20. Dezember 2002 Einspruch ein.
Am 24. Juli 2003 erhob die Klägerin Klage gemäß § 46 Abs. 1 FGO und trug zur Begründung vor, die Aufrechnungserklärung des FA vom 13. November 2002 habe nicht dazu geführt, dass Erstattungsansprüche des Herrn G gegen das FA i.H.v. 14.302,57 EUR erloschen seien. Die Aufrechnungserklärung sei ohne Vertretungszusatz an die Klägerin adressiert und die angegebene Steuernummer betreffe weder die Klägerin noch unmittelbar Herrn G, sondern die in Konkurs gefallene C-GmbH. Ungeachtet dessen, dass aus der Aufrechnungserklärung nicht erkennbar sei, gegen welche Forderungen welcher Person aufgerechnet werden soll, sei die Klägerin auch nicht vertretungsbefugt gewesen, eine solche Aufrechnungserklärung entgegen zu nehmen, da sich die Prozessvollmacht nur auf das Klageverfahren vor dem Finanzgericht München bezogen habe, das aber beendet sei, da weder gegen das Urteil noch gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Rechtsmittel eingelegt worden seien. Die Klägerin sei als Steuerberaterin nicht befugt, einen Steuerpflichtigen außerhalb eines finanzgerichtlichen Verfahrens betreffend die Aufrechnung mit Kostenerstattungsansprüchen rechtlich zu vertreten.
Mit Einspruchsentscheidung vom 25. August 2003 ist der Einspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 23. Juli, 29. August und 17. November 2003, vom 9. Juli 2004 sowie vom 16. ...