rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung als faktischer Geschäftsführer und Steuerhinterzieher
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer bei einer GmbH alle wesentlichen Entscheidungen getroffen hat, kann als faktischer Geschäftsführer in Haftung genommen werden.
2. Beteiligt er sich dabei mit dem Erwerb von Kfz an einem Umsatz, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen ist, ist der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb für die GmbH zu versagen.
3. Wenn er den Vorsteuabzug aus dem Ankauf dieser Kfz geltend gemacht hat, haftet er auch als Steuerhinterzieher für die dadurch hinterzogene Umsatzsteuer.
4. Zur Übernahme der Feststellungen eines Strafurteils besteht insbesondere dann Anlass, wenn die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist und die Feststellungen in diesem Urteil im finanzgerichtlichen Verfahren nicht substantiiert bestritten werden.
5. Die Haftung ist nicht nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung beschränkt, wenn der Schaden des Fiskus durch die Auszahlung einer zu Unrecht angemeldeten Vorsteuer entstanden ist.
Normenkette
AO §§ 34-35, 69, 71, 191 Abs. 1; FGO §§ 102, 105 Abs. 5
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Kläger dem Grunde und der Höhe nach zu Recht für Umsatzsteuerschulden der X-GmbH in Haftung genommen worden ist.
Die X-GmbH erzielte steuerpflichtige Umsätze aus dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen. Einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der X-GmbH war laut Handelsregister O. Für die Voranmeldungszeiträume März bis November 2008 wurden Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht, mit denen Vorsteuerüberhänge in Höhe von insgesamt 1.056.765,87 EUR erklärt wurden.
Als Ergebnis einer bei der X-GmbH durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, dass sie für diesen Zeitraum Vorsteuern aus Rechnungen über Kfz-Lieferungen von verschiedenen Firmen (B-GmbH und V-GmbH: 453.768,40 EUR; M-GmbH: 1.096.865,80 EUR) geltend gemacht hatte, obwohl tatsächlich keine Lieferungen von diesen Firmen an die X-GmbH stattgefunden hätten (vgl. Bericht der Steuerfahndung vom 19. August 2009).
Der Beklagte (das Finanzamt) erließ deshalb am 2. März 2009 geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für die Voranmeldungszeiträume März bis Oktober 2008. Für November 2008 erging am 3. März 2009 eine erstmalige, von der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung abweichende Steuerfestsetzung, die ein Guthaben von 189.887,48 EUR ergab. Das Guthaben wurde mit den Nachzahlungsbeträgen für März bis Oktober 2008 verrechnet.
Mit geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden vom 6. Oktober 2009 für die Voranmeldungszeiträume März bis November 2008 wurde von der X-GmbH Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1.270.437,13 EUR zurückgefordert.
Über die gegen die geänderten Vorauszahlungsbescheide eingelegten Einsprüche wurde nicht mehr entschieden, da am 11. August 2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der X-GmbH eröffnet wurde. Die vom Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldeten und auch dem Haftungsbescheid zu Grunde liegenden Umsatzsteuerforderungen wurden vom Insolvenzverwalter in vollem Umfang festgestellt.
Mit Haftungsbescheid vom 11. Dezember 2009 nahm das Finanzamt den Kläger als faktischen Geschäftsführer gemäß §§ 69, 34 Abgabenordnung (AO) und nach § 71 AO als Haftungsschuldner für offene Umsatzsteuerschulden der X-GmbH zuzüglich verwirkter Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 1.117.063,98 EUR in Anspruch. Der rechtsgeschäftlich bestellte Geschäftsführer O wurde als weiterer Haftungsschuldner in gleicher Höhe in Anspruch genommen.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts vom 12. Mai 2011 wurde der Kläger unter anderem in 15 tatmehrheitlichen Fällen der vollendeten Steuerhinterziehung in Tatmehrheit mit 14 tatmehrheitlichen Fällen der versuchten Steuerhinterziehung schuldig gesprochen (vgl. S. 71 des Strafurteils).
Betreffend die hier streitgegenständlichen Kfz-Lieferungen wurden die Umsatzsteuervoranmeldungen der X-GmbH, mit denen Vorsteuern aus Rechnungen der B-GmbH und V-GmbH geltend gemacht wurden, für die Monate März bis Oktober 2008 jeweils als vollendete Steuerhinterziehung und für November 2008 als versuchte Steuerhinterziehung angesehen. Die Verurteilung des Klägers wegen versuchter Steuerhinterziehung bezieht sich für die Monate März bis November 2008 auch auf die Fälle, in denen die M-GmbH betreffend ihre Lieferungen an die X-GmbH Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hatte, in denen Vorsteuern aus Eingangsrechnungen der vorgenannten Firmen geltend gemacht wurden.
In den Urteilsgründen wurde festgestellt, dass sich der Kläger, O und M, der Geschäftsführer der M-GmbH, Anfang 2008 verabredet hatten, um arbeitsteilig über die von ihnen betriebene X-GmbH mit O als eingetragenem Geschäftsführer und dem Kläger als faktischem Geschäftsführer sowie der M-GmbH mit dem Angeklagten M unter Einschaltung verschiedener „missing trader” Fahrzeuge netto, also ohne Belastung mit inländischer Vorsteuer zu erwerben u...