Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld. Ermessensentscheidung
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Entscheidung über die Abzweigung von Kindergeld sind Unterhaltsleistungen, die der Kindergeldberechtigte trotz fehlender Leistungsfähigkeit und damit fehlender Unterhaltspflicht erbracht hat, nicht auf der Ebene der Tatbestandsvoraussetzungen für die Ermessensentscheidung als generelles Abzweigungshindernis, sondern erst im Rahmen der Ermessensentscheidung selbst zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1; FGO § 102
Tenor
1. Der Bescheid über die Ablehnung der Abzweigung des Kindergeldes für M vom 30. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. August 2003 wird, soweit die Abzweigung von Kindergeld ab 01.05.2002 abgelehnt wird, aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.
5. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Abzweigung von Kindergeld an eine Unterhalt gewährende Stelle wegen fehlender Unterhaltspflicht des Kindergeldberechtigten trotz geleisteter Unterhaltsleistungen erfolgen kann.
I.
Der am 05. Juni 1986 geborene M ist seit 08. April 2002 auf Antrag seines beigeladenen Vaters, …, (im Folgenden: Beigeladener) im Förderungswerk S untergebracht und erhält dort auf Kosten des Landratsamts … (Klägerin; im Folgenden: Landratsamt) Jugendhilfe gemäß §§ 27, 34 Sozialgesetzbuch – SGB – Teil VIII in Form von Hilfe zur Erziehung. Weder der Beigeladene noch die Mutter des M werden zu den Kosten der Jugendhilfe herangezogen. Der Beigeladene erhält nach eigenen Angaben Arbeitslosenunterstützung in Höhe von monatlich 790 EUR und Kindergeld in Höhe von 462 EUR für M und zwei weitere im Haushalt lebende Kinder (bis 31. Juli 2002 in Höhe von 641 EUR für drei weitere Kinder). Einen Antrag auf Abzweigung eines angemessenen Teils der Arbeitslosenunterstützung lehnte das Arbeitsamt … ab, weil der Beigeladene die laufende Geldleistung zur Bestreitung seines eigenen Lebensunterhalts benötigte. Das Einkommen der Mutter überschreitet den notwendigen Eigenbedarf nur so geringfügig, dass von ihrer Inanspruchnahme ebenfalls abgesehen wurde.
Den vom Landratsamt mit Schreiben vom 17. April 2002 gestellten Antrag auf Abzweigung des Kindergelds für M hat die Beklagte (die Agentur für Arbeit …; im Folgenden: Familienkasse –FK–) mit Bescheid vom 30. Januar 2003 abgelehnt. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass keine Verletzung der Unterhaltspflicht vorliege. Den hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 12. August 2003 als unbegründet zurück. In der Einspruchsentscheidung führte die FK ergänzend aus, dass eine Abzweigung ausscheide, weil der Beigeladene mindestens in Höhe des Kindergelds Unterhalt an M leiste.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung trägt das Landratsamt im Wesentlichen vor:
Das Kindergeld sei gemäß § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) an das Landratsamt abzuzweigen, weil dieses den gesamten Lebensunterhalt des M sicherstelle und der Beigeladene keinen Kostenbeitrag leisten könne. Für Aufenthalte beim Beigeladenen (im vorliegenden Fall in der Regel jedes zweite Wochenende und während eines Teils der Ferien) von bis zu drei Tagen erhalte dieser ein Verpflegungsgeld in Höhe von 5 EUR pro Tag. Im Falle einer längeren Abwesenheit als drei Tage werde im Falle einer Abzweigung des Kindergelds dieses anteilig (5,13 EUR pro Tag) an den Beigeladenen ausgezahlt. Weitere Geldleistungen des Beigeladenen an M seien nicht erforderlich, da dessen Bedarf durch die Leistungen der Jugendhilfe umfassend abgedeckt sei. Immaterielle Betreuungsleistungen des Beigeladenen bei Besuchsaufenthalten des M fielen wegen der Funktion des Kindergelds, den Lebensunterhalt zu decken, nicht ins Gewicht. Der Beigeladene dürfe durch die Heimunterbringung des M finanziell nicht besser gestellt werden, als wenn er selbst für den Unterhalt aufkommen müsste. Es sei nicht Voraussetzung der Abzweigung, dass der kindergeldberechtigte Beigeladene tatsächlich seine Unterhaltspflicht verletze. Vielmehr genüge auch mangelnde Leistungsfähigkeit.
Das Landratsamt beantragt,
den Bescheid über die Ablehnung der Abzweigung des Kindergeldes für M vom 30. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. August 2003 aufzuheben, soweit die Abzweigung von Kindergeld ab 01. Mai 2002 abgelehnt wird, und das Kindergeld ab 01. Mai 2002 in voller Höhe an sich abzuzweigen.
Die FK beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie darauf, dass der kindergeldberechtigte Beigeladene gemäß ein...