Entscheidungsstichwort (Thema)

Beibehalten des inländischen Wohnsitzes durch Beibehalten eines angemieteten Einfamilienhauses als Voraussetzung für Kindergeldanspruch bei auf drei Jahre befristeter beruflicher Entsendung des Steuerpflichtigen ins Ausland

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach der Lebenserfahrung spricht es für die Beibehaltung eines Familienwohnsitzes i. S. d. § 8 AO, wenn jemand ein angemietetes Einfamilienhaus, das er zusammen mit Lebensgefährtin und gemeinsamem Kind vor und nach einem beruflich veranlassten, auf drei Jahre befristeten Auslandsaufenthalt als einzige Wohnung ständig nutzt, während des Auslandsaufenthalts unter Fortführung der Miet- und Versorgungsverträge unverändert und in einem ständig nutzungsbereiten Zustand beibehält. Unter diesen Voraussetzungen kann die Wohnung in Deutschland auch dann weiter Wohnsitz für den Steuerpflichtigen und sein minderjähriges Kind sein, wenn der Steuerpflichtige bzw. seine Familie sie zwischenzeitlich nur kurzfristig zu Ferien-, Erholungs- oder geschäftlichen Zwecken anlässlich von Dienstreisen aufsuchen, der Steuerpflichtige ansonsten während der dreijährigen Entsendung mit Lebensgefährtin und Kind in Mexiko wohnt, und wenn die wenigen kurzfristigen Inlandsaufenthalte während der Entsendung keinen Wohncharakter haben.

2. Dem Anwendungserlass zur AbgabenordnungAEAO (BStBl I 2014, 290, zu § 8 AO, Nr. 4 Satz 2) ist nicht zu entnehmen, dass der Steuerpflichtige die Wohnung jährlich regelmäßig zweimal zu Wohnzwecken über einige Wochen nutzen muss, um seinen Wohnsitz beizubehalten.

 

Normenkette

AO § 8; EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3

 

Tenor

1. Der Aufhebungsbescheid vom 29. Januar 2015 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2015 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

I.

Der Beklagte (die Familienkasse – FA –) setzte mit Bescheid vom 24. Oktober 2014 gegenüber dem Kläger Kindergeld für seinen am 8. Oktober 2014 geborenen Sohn für den Zeitraum von Oktober 2014 bis einschließlich Oktober 2032 fest.

Der Kläger war bis November 2014 für die AG nichtselbständig tätig und lebte mit seinem Sohn und seiner Lebenspartnerin – der Kindsmutter – in dem von seiner Lebenspartnerin angemieteten Einfamilienhaus. Nach der zwischen dem Kläger und der AG geschlossenen Vereinbarung vom 5. August 2014 (Vereinbarung) übernahm der Kläger mit Wirkung vom 1. Dezember 2014 eine Tätigkeit bei der S.A. de C.V. in Mexiko. Die Dauer des Auslandseinsatzes war bis zum 30. November 2017 befristet und endete zu diesem Zeitpunkt, wenn nicht zuvor eine Verlängerung erfolgt war; das Arbeitsverhältnis mit der AG wurde mit Beginn des Auslandseinsatzes ruhend gestellt. Nach der Präambel der Vereinbarung lebte das Arbeitsverhältnis mit der AG nach der Beendigung wieder auf und wurde zu hiesigen Konditionen fortgesetzt. Die AG behielt sich vor, den Kläger auch während der Laufzeit des Auslandsarbeitsvertrags unter Wahrung einer Frist von einem Monat zurückzurufen; bei Vorliegen eines außerordentlichen Grundes war es möglich in Absprache mit dem Internationalen Personalreferenten den Einsatz des Klägers bei der Gastgesellschaft früher zu beenden. Ab Dezember 2014 lebte der Kläger mit seiner Familie in Mexiko. Das Einfamilienhaus behielten der Kläger und seine Lebenspartnerin unverändert und vollständig eingerichtet bei; die von der Lebenspartnerin abgeschlossenen Versorgungsverträge (Wasser, Strom) liefen weiter. Der Kläger nutzte das Einfamilienhaus anlässlich von Dienstreisen vom 26. Januar bis 29. Januar 2015 und vom 20. bis 24. Juli 2015. Vom 19. Dezember 2015 bis 3. Januar 2016 bewohnte er es gemeinsam mit seiner Familie.

Mit Veränderungsmitteilung vom 11. November 2014 zeigte der Kläger der Familienkasse an, dass er ab 1. Dezember 2014 eine unselbstständige Beschäftigung im Ausland aufgenommen habe und legte die ersten beiden Seiten der Vereinbarung vor. Der Wohnsitz sowie der Lebensmittelpunkt der Eltern und der Kinder bleibe in Deutschland unter der gemeldeten Adresse; die Entsendung nach Mexiko sei auf drei Jahre befristet.

Daraufhin hob die Familienkasse mit Bescheid vom 29. Januar 2015 die Festsetzung des Kindergeldes ab dem Monat Dezember 2014 auf; die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 des Einkommensteuergesetzes seien ab Dezember 2014 nicht mehr gegeben. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2015 als unbegründet zurück. Der Kläger habe weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Das alleinige „Innehaben einer Wohnung” reiche für einen Wohnsitz nicht aus. Vielmehr müsse der Steuerpflichtige die Wohnung jährlich regelmäßig zweimal zu Wohnzwecken über einig...

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