Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundlagenbescheid. Folgebescheid. Bindungswirkung. Einkommensteuer 1998

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Grundlagenbescheid ist auch dann im Folgebescheid (noch) nicht voll verwirklicht, wenn das Wohnsitzfinanzamt einen lediglich vom Steuerpflichtigen erklärten Verlust vor Ergehen einer ESt4B-Mitteilung berücksichtigt und dann nach Ergehen der zahlenmäßig vom erklärten Verlust abweichenden ESt4B-Mitteilung den Verlust aus derselben Beteiligung doppelt ansetzt. Der zuerst erklärte Verlust darf dann in einem weiteren Folgebescheid gestrichen werden.

 

Normenkette

AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 1998 vom Beklagten (Finanzamt – FA –) zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt wurden.

Im Streitjahr war der Kläger an einer in E. (E) ansässigen Aktiengesellschaft (AG) (St.-Nr. 058-181-00908) als atypisch stiller Gesellschafter beteiligt. Er erzielte einen Verlust von 29.929 DM.

In Zeile 5 der Anlage GSE zur ESt-Erklärung 1998 (Bl. 6 ESt-Akte) deklarierten die Kläger einen Verlust aus Gewerbebetrieb i. H. v. 31.500 DM „lt. gesonderter Feststellung” des FA M. (M) für Körperschaften mit der St.-Nr. 800/23706. Der Name des Beteiligungsunternehmens fehlte. Das FA vermerkte in der Akte (Bl. 6 AAO): „Mitt. fehlt. 17.05.00 angef.”. Es forderte die Mitteilung vergeblich bei drei FÄ an (Bl. 13–15 AAO). Im ESt-Bescheid 1998 vom 31. Mai 2000 berücksichtigte es den Verlust. Die Steuerfestsetzung erfolgte weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung noch in diesem Punkt vorläufig.

Am 3. April 2001 erhielt es die Mitteilung des zuständigen FA F. (F) über den o.g. Verlust (Bl. 16 AAO). Im nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid vom 19. April 2001 wurde dieser Verlust neben dem von 31.500 DM angesetzt. Auch dieser Bescheid wurde insoweit bestandskräftig.

Während einer beim Kläger im Oktober 2002 durchgeführten Betriebsprüfung (BP) stellte der Prüfer fest, dass die in der Anlage GSE angegebene und die Beteiligung an der AG in E lt. Mitteilung des FA F identisch waren, der Verlust von 31.500 DM somit zu Unrecht angesetzt war (Tz. 1.11 des BP-Berichts vom 21. Oktober 2002). Im Ergebnis folgend ließ das FA den gewerblichen Verlust von 31.500 DM im nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten ESt-Bescheid 1998 vom 3. Februar 2002 außer Ansatz.

Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung (EE) vom 20. Februar 2003 (Bl. 27–34 a.a.O.) stützte das FA seine Korrektur auf drei Berichtigungsvorschriften: § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 174 Abs. 2 AO und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.

Mit ihrer Klage tragen die Kläger im Wesentlichen vor: Keine der vom FA zitierten Berichtigungsvorschriften sei gegeben. Auf eine neue Tatsache i.S.v. § 173 AO könne das FA sich nicht berufen, da Tatsachenfeststellungen im Grundlagenbescheid zu berücksichtigen seien. Als Wohnsitz-Finanzamt habe es lediglich die Aufgabe, die Feststellungen des Betriebs-Finanzamts verfahrensmäßig richtig zu verwerten. Dies sei hier nicht gelungen. Auch § 174 AO sei nicht einschlägig. Dass der Sachverhalt selbst im Grundlagenbescheid berücksichtigt sei und sich im Folgebescheid auswirke, sei der Normalfall und daher keine Doppelberücksichtigung i.S.v. § 174 AO. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das FA ein- und denselben Beteiligungsverlust im ESt-Bescheid 1998 irrtümlich zweimal angesetzt habe. Das sei keine „widerstreitende” Steuerfestsetzung, sondern schlicht eine fehlerhafte Steuerfestsetzung. Es handle sich nicht um die Mehrfachberücksichtigung eines „bestimmten Sachverhalts” i.S.d. § 174 AO. § 175 liege ebenfalls nicht vor, weil die Mitteilung des FA F korrekt ausgewertet worden sei. Sie dürfe nicht zum Anlass einer nochmaligen Korrektur genommen werden. Die Korrekturbefugnis sei insoweit verbraucht.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 2003 den geänderten ESt-Bescheid 1998 vom 3. Februar 2002 dahingehend zu ändern, dass die ESt 1998 nach einem um 31.500 DM verminderten Einkommen festgesetzt wird.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Klage ist unbegründet.

1. Das FA hat die Steuerfestsetzung zu Recht im strittigen Punkt geändert. Dabei kann es der Einzelrichter offen lassen, ob die §§ 173 Abs. 1 Nr. 1 und 174 Abs. 2 (zur Änderungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift s. das Urteil des FG Mecklenburg-Vorpommern vom 16. Oktober 2001 – 2 K 99/99, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2002, 368) AO auf den Streitfall anwendbar sind. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vor.

Es ist das Ziel dieser Vorschrift, die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids verfahrensrechtlich zur Geltung zu bringen, so dass das gesetzliche Gebot zur entsprechenden Änderung des Folgebescheids solange besteht, als ein Grundlagenbescheid im Folgebescheid noch nicht berücksichtigt word...

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