Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerstreitende Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 3 AO bei der Nichtbesteuerung eines Veräußerungsgewinns wegen der Behauptung einer Reinvestition nach § 6b EStG
Leitsatz (redaktionell)
Wird der Gewinn eines Unternehmers im Jahr der Veräußerung seines Hotels geschätzt und dabei der wesentliche Teil des Veräußerungsgewinns wegen der Behauptung einer späteren Reinvestition gem. § 6b EStG nicht erfasst, obwohl die Übertragung der stillen Reserven gem. § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG erfordert und bei einer Schätzung des Gewinns nicht zur Anwendung kommt, kann die bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums, in dem der Veräußerungsgewinn entstanden ist, wegen einer widerstreitenden Steuerfestsetzung gem. § 174 Abs. 3 AO zur Berücksichtigung des vollen Veräußerungsgewinns geändert werden, wenn das Finanzamt die Besteuerung der stillen Reserven aus dem Hotelverkauf in der Annahme einer in einem späteren Veranlagungszeitraum zu erfolgenden Besteuerung unterlassen hat.
Normenkette
AO § 174 Abs. 3, § 162; EStG § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte zur Änderung eines Steuerbescheids berechtigt war.
I.
Die Kläger sind Ehegatten und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Die Klägerin (Klin) betrieb bis 31. Dezember 1991 in X als Einzelunternehmerin ein Hotel. Das im jeweils hälftigen Miteigentum der Kläger stehende Hotelgrundstück war im Einzelunternehmen der Klin in der auf den 31. Dezember 1995 aufgestellten Bilanz wie folgt aktiviert:
Grund und Boden zu ½ |
207.031 DM |
Gebäude zu ½ als Eigentum |
498.841 DM |
Hofbefestigung |
3.117 DM |
Gebäude zu ½ als Nutzungsrecht |
547.367 DM |
Die in dem Objekt befindliche Privatwohnung der Kl wurde einschließlich Grundstücksanteil von Beginn an als Privatvermögen behandelt. Zum 01. Januar 1992 verpachtete die Klin das gesamte Anlagevermögen einschließlich Nutzungsrecht im Rahmen einer Betriebsaufspaltung an eine Betriebs-GmbH, an der die Klin zu 100 % beteiligt war. Mit notariellem Vertrag vom 30. August 1995 veräußerten die Kläger das Hotelgrundstück an die Y GmbH zum Preis von 6.500.000 DM. Als Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr war der 01. Januar 1996 bestimmt. Aufgrund des Ansatzes eines Veräußerungsgewinns in Höhe von 2.842.051 DM erhöhte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) die ESt-Vorauszahlungen mit Vorauszahlungsbescheid vom 04. April 1996 auf vierteljährlich 237.640 DM beginnend ab dem 2. Quartal 1996. Mit Vorauszahlungsbescheid vom 15. April 1996 wurden auch die Vorauszahlungen für 1997 und die weiteren Jahre auf der Basis der um den Veräußerungsgewinn erhöhten Einkünfte festgesetzt.
Mit Schreiben vom 11. Juli 1996 begehrte der damalige steuerliche Berater der Kläger eine verbindliche Auskunft hinsichtlich der nach § 6b Einkommensteuergesetz (EStG) begünstigten Reinvestition des Veräußerungsgewinns. Angefragt wurde insoweit, ob das Grundstück noch 1996 gekauft werden müsse, ob das Hotel dann später gebaut bzw. gekauft werden könne und ob die 6b-Rücklage auf mehrere Objekte aufgespalten werden könne. Das FA lehnte eine verbindliche Auskunft mit Schreiben vom 17. Juli 1996 aus formalen Gründen ab.
Mit Schreiben vom 09. September 1996 begehrte der steuerliche Berater die Herabsetzung der ESt-Vorauszahlungen für das 3. und 4. Quartal 1996 mit der Begründung, dass noch in 1996 ein erheblicher Teilbetrag des Verkaufserlöses reinvestiert werden solle und nach § 34 Abs. 1 EStG der halbe Steuersatz anzuwenden sei. Mit geändertem Vorauszahlungsbescheid vom 10. September 1996 setzte das FA die Vorauszahlungen ab dem 3. Quartal antragsgemäß auf 0 DM herab. Mit Schreiben vom 09. Dezember 1996 begehrte die Klin die Rückerstattung der ESt und Solidaritätszuschlags-Vorauszahlung in Höhe von 255.384,40 DM mit der Begründung, dass sie noch im Jahr 1996 ein Grundstück kaufen würde, das im Sinne des § 6b EStG genutzt werden solle.
Mangels Abgabe von ESt-Erklärungen schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenem Bescheid vom 08. März 1999. Dabei setzte es bei den gewerblichen Einkünften der Klin 350.000 DM an. Die ESt wurde auf 261.618 DM festgesetzt. Den hiergegen gerichteten, aber nicht begründeten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 09. März 2001 unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung als unbegründet zurück. Die hiergegen vor dem erkennenden Senat unter dem Az. 10 K … erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 08. Oktober 2001 mangels Vollmachtsvorlage und Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens als unzulässig zurückgewiesen. Antrag auf mündliche Verhandlung wurde zwar gestellt, in der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar...