Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliges Rechtsschutzverfahren; Verhältnis von § 176 AO und § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG
Leitsatz (redaktionell)
Die Anwendung der Vertrauensschutzregelung ist nach summarischer Prüfung nicht durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG ausgeschlossen. Nach Auffassung des Senats ist es ernstlich zweifelhaft, ob die rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung beim leistenden Unternehmer unter Suspendierung des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Vertrauensschutzes gegen das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstößt. § 27 Abs. 19 UStG greift in die im Zeitpunkt seiner Verkündung bereits entstandene Steuerschuld für den Streitzeitraum 2011 nachträglich ein, so dass eine unzulässige echte Rückwirkung jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint.
Normenkette
UStG § 27 Abs. 19 S. 2; AO § 176 Abs. 2
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens strittig, ob der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2011 schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin (§ 176 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)) entgegensteht.
Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist die Erbringung von Bauleistungen für die Errichtung von Gebäuden. Im Streitjahr 2011 erbrachte die Antragstellerin Bauleistungen an die X GmbH & Co. Bauträger KG (X KG). Am Kapital der Antragstellerin waren im Streitzeitraum G N zu 75 % und E T zu 25 % als Kommanditisten beteiligt. An der X KG waren im Streitzeitraum G N zu 95 % und K C zu 5 % als Kommanditist beteiligt. In den durch die Antragstellerin gegenüber der X KG ausgestellten Rechnungen heißt es: „Die Rechnung wird ohne Umsatzsteuer erstellt, da die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG übergeht.”
Die Antragstellerin gab mit Eingang beim Antragsgegner am 28.12.2012 eine eine Erstattung ausweisende Umsatzsteuererklärung für 2011 mit einem Umsatzsteuerbetrag von 318.354,61 € ab. In der Erklärung gab sie an, steuerpflichtige Umsätze i. S. des § 13b Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 4 und Nr. 6 bis Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) im Umfang von 1.015.889 € getätigt zu haben, für die der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schulde. Der Antragsgegner stimmte der Umsatzsteuererklärung für 2011 am 13.2.2013 zu.
Beginnend im März 2015 führte der Antragsgegner bei der Antragstellerin eine Umsatzsteuersonderprüfung durch. Der Prüfer traf ausweislich des Berichts über die Umsatzsteuersonderprüfung vom 9.3.2015, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, im Wesentlichen die folgenden Feststellungen: Von den in 2011 erklärten Bauleistungen i. S. des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG i. H. von 1.015.889 € würden 1.006.752,34 € auf Bauleistungen entfallen, die an die X KG erbracht worden seien. Bei der Erteilung der Rechnungen seien sowohl der Leistungsempfänger, die X KG, als auch die Antragstellerin unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Verwaltungsanweisungen davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die für die Bauleistung entstandene Umsatzsteuer nach § 13b UStG schulde. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 22.8.2013 V R 37/10 (Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 243, 20, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2014, 128) entschieden, dass es für die Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger darauf ankomme, dass der Leistungsempfänger die an ihn erbrachten Bauleistungen seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwende. Auf den Anteil der vom Leistungsempfänger ausgeführten Bauleistungen im Sinne des § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG an den insgesamt von ihm getätigten Umsätzen komme es entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung (vgl. Abschnitt (Abschn.) 13b.3 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteueranwendungserlasses (UStAE)) nicht an. Der Leistungsempfänger sei dann nicht Steuerschuldner, wenn er Lieferungen erbringe, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen würden. Bauträger, die eigene Grundstücke zum Zwecke des Verkaufs bebauen würden, würden bloße Grundstückslieferungen ausführen und seien daher für von Dritten bezogene Bauleistungen, die sie für derartige Veräußerungen verwenden würden, nicht Steuerschuldner. Unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 22.8.2013 V R 37/10 (aaO) habe die X KG die Erstattung der betreffend die Bauleistungen entrichteten Umsatzsteuer begehrt. Für die Antragstellerin als Bauleistende bedeute dies, dass sie Steuerschuldnerin gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG sei. Die Regelung des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG i. V. mit Abs. 5 Satz 2 UStG sei nicht mehr anzuwenden. Daher sei die Umsatzsteuer für 2011 lt. Tz. 3.3 des Berichts um 191.282,94 € zu erhöhen. Lt. Anlage zum Bericht werde unter Abrundung der Bemessungsgrundlage auf 1.006.752 € nur noch ein Erhöhungsbetrag von 191.282,88 € angenommen.
Mit Bescheid vom 1.4.2015 setzte der Antragsgegner, entsprechend den Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung, die Umsatzsteuer auf 509.637,49 € und damit um 191.282,88 € höher fest. Dagegen legte die Antragstellerin ...