Entscheidungsstichwort (Thema)
Unpfändbarkeit der Corona-Soforthilfe
Leitsatz (redaktionell)
1) Die sog. Corona-Soforthilfe ist als zweckgebundene Forderung nicht übertragbar und unterliegt damit dem Pfändungsverbot nach § 851 Abs. 1 ZPO.
2) Sofern der Vollstreckungsschuldner mit der Pfändung in die Corona-Soforthilfe schwerwiegende Nachteile glaubhaft machen kann (Anordnungsgrund), kann die Vollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung – gestützt auf einen Anspruch auf Vollstreckungsschutz gemäß § 258 AO (Anordnungsanspruch) – ausgesetzt und die Auszahlung der Corona-Soforthilfe angeordnet werden.
3) Die Corona-Soforthilfe wird nicht von den in § 850K Abs. 4 Satz 2 ZPO genannten Beträgen erfasst.
Normenkette
AO § 258; ZPO §§ 850k, 851; FGO § 114
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung Vollstreckungsschutz gemäß § 258 AO. Er möchte eine einstweilige Einstellung der durch Vollstreckung bewirkten Pfändung des Privat- und Geschäftskontos durch den Antragsgegner erreichen, damit ihm, dem Antragsteller, eine auf das als Pfändungsschutzkonto geführte Konto überwiesene Corona-Soforthilfe i. H. v. 9.000 € ausgezahlt werden kann.
Der Antragsteller ist als Einzelgewerbetreibender tätig. Er betreibt einen …reparaturservice und erzielt aus diesen Einkünften seinen Lebensunterhalt.
Der Antragsgegner ließ der Bank B im November 2019 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung zustellen. Hiernach schuldete der Antragsteller dem Land Nordrhein-Westfalen Abgaben i. H. v. xxx €. Diesem Rückstand lagen im Wesentlichen Umsatzsteuerschulden aus den Jahren 2017 bis 2019 zugrunde.
Daraufhin teilte die Bank B dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller bei ihr ausschließlich das Konto xxxxx1 (IBAN: … xxxxx1) führe. Dies sei ein Pfändungsschutzkonto (§ 850k der Zivilprozessordnung, ZPO) und weise zum Zeitpunkt der Pfändung kein Guthaben aus. Im Übrigen lägen vorrangige Pfändungen i. H. v. xxx € vor.
Am 27.03.2020 beantragte der Antragsteller zur Aufrechterhaltung seines Gewerbebetriebs beim Land Nordrhein-Westfalen eine Corona-Soforthilfe i. H. v. 9.000 € für Kleinstunternehmer und Soloselbständige. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte die Bezirksregierung N dem Antragsteller einen Billigkeitszuschuss i. H. v. 9.000 € auf der Grundlage des Soforthilfeprogramms des Landes Nordrhein-Westfalen gemäß § 53 Landeshaushaltsordnung (LHO) i. V. m. dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmer und Soloselbständige”. Hierbei handle es sich um eine Kleinbeihilfe im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19. Der Billigkeitszuschuss werde auf das Konto des Antragstellers bei der Bank B überwiesen. Außerdem enthielt der Bewilligungsbescheid u. a. die folgenden Ausführungen:
„[…]
2. Aufrechnungsverbot
Für die bewilligte Soforthilfe gilt ein direktes Verrechnungs- bzw. Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe darf es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Die bewilligte Soforthilfe muss vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. Ihnen als Empfänger/-in obliegt die Entscheidung, welche Forderungen mit höchster Relevanz für die Existenzsicherung ausgestattet sind (bspw. Mietforderungen, Lieferantenforderungen) und daher vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollen.
3. Zweckbindung
Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für drei Monate.
Die Soforthilfe dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01. März 2020 in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 01. März 2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe.
Entscheidungsgründe
II. Nebenbestimmungen
Die Soforthilfe wird unter folgenden Nebenbestimmungen gewährt:
[…]
5. Ich behalte mir im Einzelfall eine Prüfung der Verwendung der Soforthilfe vor.
In diesem Fall ist die Bewilligungsbehörde berechtigt, Bücher, Belege und sonstige Geschäftsunterlagen anzufordern sowie die Verwendung der Soforthilfe durch örtliche Erhebungen zu prüfen oder durch Beauftragte prüfen zu lassen. Sie haben die erforderlichen Unterlagen bereitzuhalten und die notwendigen Auskünfte zu erteilen. Die Bewilligungsbehörde, Ihr zuständiges Finanzamt, der Landesrechnungshof NRW sowie die nachgeordneten Behörden (vgl. § 91 LHO), der Bundesrechnungshof, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und die Europäische Kommission sind ebenfalls berechtigt, Prüfungen vorzunehmen.
[…]
8. Der Nachweis der Verwendung der Soforthilfe erfolgt unter Zuhilfenahme des Vordrucks im Internet auf https://www.soforthilfe-corona.nrw.de bei Ihrem zuständigen Finanzamt und ist der nächsten Steuererklärung ...