Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Pfändung eines Kontos, auf das die sog. Corona-Soforthilfe eingezahlt wurde
Leitsatz (redaktionell)
1) Die sog. Corona-Soforthilfe ist als zweckgebundene Forderung nicht übertragbar und unterliegt damit dem Pfändungsverbot nach § 851 Abs. 1 ZPO.
2) Sofern der Vollstreckungsschuldner mit der Pfändung in die Corona-Soforthilfe schwerwiegende Nachteile glaubhaft machen kann (Anordnungsgrund), kann die Vollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung – gestützt auf einen Anspruch auf Vollstreckungsschutz gemäß § 258 AO (Anordnungsanspruch) – ausgesetzt und die Auszahlung der Corona-Soforthilfe angeordnet werden.
3) Die Corona-Soforthilfe wird nicht von den in § 850k ZPO genannten Beträgen erfasst.
Normenkette
AO § 258; ZPO §§ 851, 850k; FGO § 114
Tatbestand
Der Antragsteller (ASt.) begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Beschränkung der von dem Antragsgegner (Ag.) ausgebrachten „Kontopfändung”.
Der ASt. meldete ausweislich der vorliegenden Gewerbeanmeldung im August 2009 ein Gewerbe mit der Bezeichnung „A” bei der Stadt B an. Nach den Angaben im vorliegenden Verfahren ist er als D-Dozent in der Erwachsenenbildung tätig. Darüber hinaus erzielt er geringe Einnahmen aus einem Handel mit gebrauchten Autoersatzteilen. Der ASt. unterhält ein Konto bei der T mit der IBAN DE…, welches als Pfändungsschutzkonto i.S.d. § 850k der Zivilprozessordnung ZPO- (sog. P-Konto) geführt wird.
Im Mai 2018 wurde der T eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung seitens des Ag. wegen Steuerrückständen des ASt. gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen i.H.v. 52.185,63 EUR zugestellt. Diesem Rückstand lagen im Wesentlichen Einkommensteuerschulden aus den Jahren 2010 bis 2018 zugrunde. Im Juli 2019 erließ der Ag. eine weitere Pfändungs- und Einziehungsverfügung an die T. Diese betraf Steuerrückstände des ASt. i.H.v. 25.729,50 EUR. Wegen Einzelheiten zur Zusammensetzung dieses Betrages wird auf die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 8.7.2019 in der Vollstreckungsakte des Ag. Bezug genommen.
Am 12.5.2020 beantragte der ASt. beim Land Nordrhein-Westfalen eine Corona-Soforthilfe i.H.v. 9.000,– EUR für Kleinstunternehmer und Soloselbstständige. Mit Bescheid der Bezirksregierung C vom selben Tag wurde dem ASt. gemäß § 53 Landeshaushaltsordnung (LHO) i.V.m. dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmer und Selbständige” eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,– EUR als einmalige Pauschale bewilligt. Im Bescheid wurde weiter ausgeführt, bei der Soforthilfe handele es sich um eine Kleinbeihilfe gemäß der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 „Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020”). Der Billigkeitszuschuss werde auf das Konto bei der T mit der IBAN DE… überwiesen.
Weiterhin enthielt der Bewilligungsbescheid u.a. folgende Bestimmungen:
„2. Zweckbindung
Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung. Die Soforthilfe dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 1. März 2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe.
3. Aufrechnungsverbot
Für die bewilligte Soforthilfe gilt ein direktes Verrechnungs- bzw. Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe darf es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Etwas Anderes gilt nur, wenn bereitgestellte Finanzierungslinien ausdrücklich kurzfristig zur Vorfinanzierung der Soforthilfe erhöht wurden. Die bewilligte Soforthilfe muss vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. Ihnen als Empfänger/-in obliegt die Entscheidung, welche Forderungen mit höchster Relevanz für die Existenzsicherung ausgestattet sind (bspw. Mietforderungen, Lieferantenforderungen) und daher vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollen.
II. Nebenbestimmungen
Die Soforthilfe wird unter folgenden Nebenbestimmungen gewährt: …. 3. Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel auf das Konto der Landeskasse … zurückzuzahlen. … 4. Die Finanzhilfe ist zurückzuerstatten, wenn der Bescheid aufgrund falscher oder unvollständiger Angaben erte...