Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerinanspruchnahme des Arbeitgebers mittels eines Steuerbescheides erst nach Abgabe einer Lohnsteueranmeldung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die sog. "Entrichtungsschuld" des Arbeitgebers für einbehaltene Lohnsteuern entsteht erst mit der Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldung.
2. Solange die "Entrichtungsschuld" des Arbeitgebers nicht entstanden ist, kann insoweit auch keine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das Finanzamt im Rahmen eines Steuerbescheides erfolgen. Das Finanzamt kann in diesen Fällen den Arbeitgeber lediglich im Wege der Haftung in Anspruch nehmen (gegen Abschn. 133 Abs. 4 LStR 1996).
Normenkette
EStG § 38 Abs. 1, 1 Nr. 2, Abs. 3, §§ 41a, 42d Abs. 4, 4 Nr. 1; AO 1977 § 168
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob ein Arbeitgeber für rückständige Lohnsteuern (LSt) und Lohnnebenforderungen durch Steuerbescheid in Anspruch genommen werden kann oder ob die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid erfolgen muß.
Die Klägerin (Klin.), die vormals alsfirmierte, ist eine GmbH nach französischem Recht, die die Bearbeitung von Fleisch, insbesondere das Ausbeinen und Schlachten von Vieh betrieb. Sie nahm ihre Tätigkeit im Inland im Juni 1995 auf. Der im französischen Handels- und Gesellschaftsregister eingetragene Sitz der Klin. liegt in Frankreich. Am 13.10.1995 und 01.03.1996 schloß die Klin. mit im Inland belegenen Fleischbearbeitungsfirmen Werk- bzw. Werkrahmenverträge ab. Es wird auf den Inhalt dieser Verträge Bezug genommen (LSt-Akte Bl. 1 bis 8). LSt-Anmeldungen gab die Klin. im Inland nicht ab. Der Beklagte (Bekl.) schätzte die LSt zzgl. Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für August 1995 bis August 1997 und erließ entsprechende Steuerbescheide gegen die Klin. Es wird auf die Bescheide vom 16.09.1997 Bezug genommen. Gegen diese Bescheide legte die Klin. am 02.10.1997 Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ der Bekl. für Januar bis August 1997 einen berichtigten Bescheid vom 14.10.1997 und hob die Festsetzungen für August und September 1995 auf (Bescheid vom 08.12.1997). Die Abgabenschulden für Juli und August 1997 wurden auf 0 DM festgesetzt (Bescheide vom 06.11.1997). Im übrigen war der Einspruch erfolglos. Es wird auf die Einspruchsentscheidung – EE – vom 01.09.1998 Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage.
Die Klin. meint, der Bekl. habe sie nicht durch Steuerbescheid in Anspruch nehmen dürfen. Auch habe sie entgegen der Auffassung des Bekl. im Inland weder eine Betriebsstätte unterhalten noch einen ständigen Vertreter gehabt. Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vortrags wird auf den Schriftsatz vom 24.02.1999 Bezug genommen.
Die Klin. beantragt,
die LSt-Bescheide für Oktober 1995 bis Juni 1997 in der Fassung der EE vom 01.09.1998 aufzuheben.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf seine EE und trägt ergänzend vor: Die Inanspruchnahme der Klin. habe durch Steuerbescheid erfolgen dürfen. Soweit der erkennende Senat im AdV-Verfahren eine andere Auffassung vertreten habe, sei diese in der Literatur bereits kritisiert worden. Die Klin. habe im Inland Betriebsstätten und ständige Vertreter gehabt. Falls die Arbeitnehmer der Klin. in die Betriebe ihrer Auftraggeber eingegliedert gewesen seien, sei die LSt nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 (gemeint: § 38 Abs. 1 Nr. 2) EStG zu erheben gewesen. Die Klin. habe nur dann vom Steuerabzug absehen gedurft, wenn sie eine Freistellungsbescheinigung des Betriebsstättenfinanzamts gehabt hätte. Eine solche liege aber bisher nicht vor. Wegen der Einzelheiten des Vortrags des Bekl. wird auf seinen Schriftsatz vom 23.03.1999 Bezug genommen.
Die Sache wurde am 20.07.2000 vor dem Berichterstatter erörtert. Es wird auf das Protokoll verwiesen.
Es wurde die GA 15 V 7148/97 L beigezogen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide über LSt und Lohnnebenforderungen sind rechtswidrig und verletzen die Klin. in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Der Bekl. durfte die Klin. nicht durch Steuerbescheid in Anspruch nehmen.
Grundsätzlich ist – von hier nicht interessierenden Ausnahmefällen abgesehen – der Arbeitnehmer Schuldner der LSt (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Arbeitgeber hat die LSt für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten, anzumelden und abzuführen (§ 38 Abs. 3, § 41 a EStG). Die Anmeldung und Abführung der LSt durch den Arbeitgeber erfüllt mehrere Funktionen. Einerseits wird insoweit eine fremde Schuld (die des Arbeitnehmers) angemeldet und erfüllt. Andererseits entsteht durch die LSt-Anmeldung eine eigene Schuld des Arbeitgebers, die sog. Entrichtungsschuld (sh. dazu Heuermann in DB 1994, 2411, 2412; Hessisches FG, Urteil vom 17. August 1993 4 K 993/91, EFG 1994, 454; Schmidt/Drenseck, EStG, 19. Auflage 2000, § 41 a Rdnr. 6). Die „Entrichtungsschuld” des Arbeitgebers entsteht aber erst mit Abgabe der LSt-Anmeldung. Die vom Arbeitnehmer geschuldete LSt entsteht demgegenüber schon in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem A...