Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund Büroversehens; Antragswiderruf
Leitsatz (redaktionell)
1. Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Zustimmung zu einer belastenden Übergangsregelung in einem BMF-Schreiben zum Verlust des Rechts, wegen der die Zustimmung betreffenden Besteuerungsgrundlagen die Änderung der Steuerfestsetzung zu verlangen, führt.
2. Wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens bei der Einhaltung einer Frist begehrt, muss substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten überwacht werden. Der pauschale Hinweis darauf, dass Fristeinträge sowie Posteingänge im Sekretariat täglich durch ausgebildete und zuverlässige Bürokräfte erfasst werden, genügt insoweit nicht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin hinsichtlich der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist und ob die Klägerin ihren ursprünglich beim Beklagten gestellten Antrag, sie weiterhin und entgegen der geänderten BFH-Rechtsprechung für das Streitjahr als Organträgerin zu behandeln, widerrufen kann.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Gegenstand ihres Unternehmens ist die Verwaltung und Vermietung von Grundstücken. Herr VJ war im Streitjahr sowohl alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin als auch der D GmbH. Letztere besaß wiederum 100 % der Anteile an der J GmbH (Tochtergesellschaft), die ihrerseits 85 % an der Q GmbH (Enkelgesellschaft) besaß (vgl. z.B. Schaubild in der Einspruchsentscheidung, Bl. 9 der Gerichtsakte).
Die Klägerin vermietete das Grundstück L-Straße in N an die J GmbH. Vor diesem Hintergrund wurde die Klägerin nach der damaligen BFH-Rechtsprechung und der dieser entsprechenden Verwaltungsauffassung in den Jahren 2005 und 2006 als Organträgerin und die D GmbH mit ihrer Tochtergesellschaft (J GmbH) sowie ihrer Enkelgesellschaft (Q GmbH) jeweils als Organgesellschaften einer umsatzsteuerlichen Organschaft behandelt. In ihren Jahresumsatzsteuererklärungen vom 12.01.2009 (für 2007), 04.10.2010 (für 2008) und 04.10.2010 (für 2009) erklärte die Klägerin hingegen nur die eigenen Umsätze, nicht jedoch die Umsätze der D GmbH, der J GmbH und derQ GmbH.
Der BFH änderte im Jahr 2010 seine vorherige Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendung der umsatzsteuerlichen Organschaftsregeln auf Schwesterpersonengesellschaften dahingehend, dass in diesen Fällen nicht mehr von einer bestehenden finanziellen Eingliederung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) ausgegangen werden könne (vgl. Urteile vom 22.04.2010, V R 9/09, BStBl II 2011, 597; vom 01.12.2010, XI R 43/08, BStBl II 2011, 600). Die nachträgliche Umsetzung der Rechtsprechungsänderung für abgelaufene Zeiträume bedeutete grundsätzlich sowohl für die betroffenen Unternehmen einer vermeintlichen Organschaft als auch für die Finanzbehörden einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Vor diesem Hintergrund wurden die Finanzbehörden mit BMF-Schreiben vom 05.07.2011 (BStBl I 2011, 703) angewiesen, es nicht zu beanstanden, wenn entgegen der geänderten BFH-Rechtsprechung für vor dem 01.01.2012 ausgeführte Umsätze die an einer vermeintlichen Organschaft beteiligten Unternehmer ihre Umsätze dem vermeintlichen Organträger zurechneten.
Der Beklagte erließ jeweils mit Datum vom 02.03.2011 (2007 und 2008, Bl. 44 ff. und 80 ff. der Umsatzsteuerakte) bzw. 03.03.2011 (2009, Bl. 123 ff. der Umsatzsteuerakte) geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen der Klägerin neben den eigenen Umsätzen auch die Umsätze ihrer vermeintlichen Organgesellschaften zugerechnet wurden. Gegen die Änderungsbescheide legte die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten am 10.03.2011 Einspruch ein (Bl. 125 f. der Umsatzsteuerakte) und trug vor, dass unter Berücksichtigung der BFH-Urteile vom 22.04.2010 und vom 10.06.2010 die Voraussetzungen einer Organschaft nicht vorlägen. Sie beantragte, die Änderungen wieder zu korrigieren und ihr nicht als vermeintliche Organträgerin die Umsätze der vermeintlichen Organgesellschaften zuzurechnen. Der Beklagte folgte dem Antrag und half dem Einspruch im September 2012 mit erneuten Änderungsbescheiden für die Jahre 2007 bis 2009 ab.
Die Klägerin stellte über ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 13.12.2011 unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 05.07.2011 für die Umsatzsteuer 2011 den Antrag, ihr als vermeintliche Organträgerin die Umsätze der vermeintlichen Organgesellschaften (D GmbH, J GmbH und der Q GmbH) zuzurechnen. Die Voraussetzungen einer Organschaft lägen nach der geänderten BFH-Rechtsprechung in Gestalt des Urteils vom 01.12.2010 mangels einer finanziellen Eingliederung der Organgesellschaften in das Unternehmen der Klägerin nicht mehr vor. Um unnötigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, werde aber beantragt, für das Jahr 2011 die umsatzsteuerliche Organschaft beizubehalte...