Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt der Berücksichtigung eines Auflösungsverlustes nach § 17 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1) Ein Auflösungsverlust nach § 17 EStG kann erst in dem Jahr erfasst werden, in dem der Auflösungsverlust der Höhe nach feststeht. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits und die Liquidations- und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits feststehen. Gleiches gilt, wenn sicher ist, dass eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet und wenn die durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen feststehen.
2) Im Fall der Liquidation oder Insolvenz einer Gesellschaft ist eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter regelmäßig erst nach Abschluss des Verfahrens ausgeschlossen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn schon bei Verfahrenseröffnung feststeht, dass die Gesellschaft vermögenslos war.
3) Zusätzlich hierzu setzt die Entstehung eines Auflösungsverlusts voraus, dass die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten des Gesellschafters feststeht. Es muss absehbar sein, ob und in welcher Höhe dem Gesellschafter noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG berücksichtigungsfähige Veräußerungs- oder Aufgabekosten entstehen. Insofern dürfen keine wesentlichen Änderungen mehr eintreten.
4) Nach diesen Maßstäben ist ein Auflösungsverlust noch nicht entstanden, solange noch ein Zivilprozess über eine als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigende Bürgschaftsforderung schwebt.
Normenkette
EStG § 17
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Verlust der Klägerin aus der Auflösung der A GmbH in den Streitjahren 2011 oder 2012 zu berücksichtigen ist.
Die Kläger waren als Gesellschafter der A GmbH (nachfolgend: GmbH) beteiligt. Die Geschäftsanteile an der GmbH verteilten sich auf folgende Personen:
Klägerin: |
Geschäftsanteil von X € |
Kläger: |
Geschäftsanteil von X € |
K: |
Geschäftsanteil von X € |
Die GmbH hatte diverse Kredite bei der Bank aufgenommen (ein Darlehen, mehrere Kontokorrentkredite, ein Avalkredit). Zur Absicherung dieser Verbindlichkeiten haben die Kläger mit Vertrag vom 09.07.2009 eine selbstschuldnerische Bürgschaft für die Verbindlichkeiten der GmbH bis zu einem Höchstbetrag von X € übernommen. Mit nachfolgenden Ergänzungsvereinbarungen vom 12.04.2010, 05.10.2010, 30.11.2010 und 10.01.2011 stellten die GmbH und die Kläger weitere Sicherheiten in Form von Grundschulden und Sicherungsabtretungen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verträge Bezug genommen (vgl. Sonderakte „Bürgschaftsinanspruchnahme”, Anlagen zum Klägerschriftsatz vom 19.06.2018). Die Zahlung einer Bürgschaftsprovision durch die GmbH an die Kläger ist nicht vereinbart worden.
Im Jahresabschluss auf den 31.12.2009 wies die GmbH zunächst einen Jahresfehlbetrag von X € aus. Auf Drängen der Bank beauftragte die GmbH im Jahr 2010 Herrn Steuerberater und Wirtschaftsprüfer N, R, mit der Erstellung eines Sanierungsgutachtens. Dieser stellte zum 27.10.2020 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von X € fest. Auf Veranlassung von Herrn N erstellte die Klägerin am 31.12.2009 einen geänderten Jahresabschluss auf den 31.12.2009, in welchem ein Jahresfehlbetrag in Höhe von X € ausgewiesen wurde. Die Erhöhung des Jahresfehlbetrags war auf eine Neubewertung der Bilanzposition der unfertigen Arbeiten zurückzuführen (vgl. jeweils Seite 16 der von der Klägerin vorgelegten Jahresabschlüsse, Gerichtsakte Bl. 303 und 376). Nach Auffassung des Herrn N war die GmbH zwar sanierungsbedürftig, allerdings auch sanierungsfähig (vgl. hierzu die Ausführungen im Urteil des Landgerichts vom 00.00.2021, Aktenzeichen, Gerichtsakte Bl. 270f.). Am 24.06.2021 beantragte die GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 01.10.2011 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet (Az. IN). Im Juni 2011 kündigte die Bank die Kreditverträge mit der GmbH.
Nachfolgend nahm die Bank die Kläger aus den Bürgschaftsverträgen in Anspruch. Im Jahr 2015 erhob sie Klage sie vor dem Landgericht (Az. O). Mit Beschluss vom 25.07.2016 stellte das Landgericht fest, dass ein Vergleich zwischen den Parteien des dortigen Rechtsstreits zustande gekommen war. Hiernach verpflichteten sich die Kläger gegenüber der Bank zur Zahlung eines Betrages von X € nebst Zinsen seit dem 13.08.2011, zahlbar in monatlichen Raten in Höhe von X €. Darüber hinaus verpflichteten sich die Kläger zur Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von X €, zahlbar in zwei Raten (X € am 30.09.2016 und X € am 30.06.2017). Für den Fall der Einhaltung bestimmter Zahlungsziele verzichtete die Bank auf eine Teilforderung in Höhe von X €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Landgerichts vom 00.00.2016 Bezug genommen.
Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 reichten die Kläger am 27.09.2012 ein. Hierin...