Entscheidungsstichwort (Thema)
Im Ausland beim anderen Ehepartner lebendes Kind, Auszahlung des Kindergelds an inländischen Berechtigten
Leitsatz (redaktionell)
Besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das beim anderen Ehegatten im EU-Ausland lebt, kann die Auszahlung an den im Inland lebenden Berechtigten erfolgen, wenn dem anderen Ehegatten kein inländischer Kindergeldanspruch und auch kein Anspruch auf ausländische Familienleistungen, die dem deutschen Kindergeld entsprechen, zusteht.
Normenkette
EStG § 63 Abs. 1 S. 3, § 64; DVO (EG) 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; VO (EG) 883/2004 Art. 67, 68; EStG §§ 62 ff
Nachgehend
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob die Klägerin Anspruch auf inländisches Kindergeld für ein in Polen beim Kindesvater lebendes Kind hat und die Auszahlung des Kindergeldes an sich verlangen kann.
Die Klägerin, die zu Beginn des Jahres 2010 ihren Wohnsitz in der A-Straße 1 in O hatte und diesen während des Jahres 2010 in die B-Straße 2, O verlegte, besitzt die polnische Staatsbürgerschaft und ist seit 2002 von dem Vater ihrer zwei Kinder T und K geschieden. Nach ihren Angaben war die Klägerin in der Zeit vom 01.10.2006 nichtselbständig beschäftig und bezog in der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit vom 01.07.2008 bis zum 31.07.2010 Arbeitslosengeld II.
Der am 01.06.1993 geborene Sohn K der Klägerin lebte im Streitzeitraum im Haushalt des Kindesvaters, Herrn A 2, in S, W, Polen. Der weitere Sohn der Klägerin T lebte bis Anfang April 2011 ebenfalls im Haushalt des Kindesvaters. Der Kindesvater, der für die beiden Söhne bis zum 11.04.2012 keinen Antrag bei den zuständigen Behörden auf die Gewährung von dem inländischen Kindergeld vergleichbaren polnischen Familienleistungen gestellt hat, bezog im Kalenderjahr 2009 aus einer in Polen ausgeübten nichtselbständige Tätigkeit Einkünfte i.H.v. 56.729,28 polnische Sloty und in den nachfolgenden Jahren 2010 und 2011 i.H.v. 73.388,88 polnische Sloty bzw. von 73.331,88 polnische Sloty.
Der Sohn der Klägerin K besuchte ab dem Schuljahr 2009/2010 bis zum 31.08.2012 eine allgemeinbildende Schule in W.
Mit Bescheid vom 26.10.2010 bewilligte die vormals zuständige Familienkasse O (vorläufig) zugunsten der Klägerin für deren Sohn K sogenanntes Differenzkindergeld.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 21.12.2010 hob die Familienkasse O die Kindergeldfestsetzung für K gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ab Januar 2011 auf. Zur Begründung führte die Familienkasse O aus, der Kindesvater habe den gemeinsamen Sohn K in seinen Haushalt aufgenommen. Deshalb stünde diesem der vorrangige Anspruch auf Kindergeld für K nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG zu. Sei danach ein Elternteil der Kindergeldberechtigte, der selbst nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege, sei nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.10.1996, Rechtsache C-245/94 – Hoever/Zachow; Urteil vom 07.06.2005, Rechtsache C-543/03 – Dodl/Oberhollenzer und Urteil vom 07.07.2005, Rechtssache C-153/03 – Weide, verheiratete Schwarz) dennoch ihm das Kindergeld zu zahlen.
Hiergegen legte die Klägerin mit Telefax ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.01.2011 Einspruch ein, den die Familienkasse O mit Einspruchsentscheidung vom 15.09.2011 als unbegründet zurückwies. Dabei hielt die Familienkasse an ihrer Rechtsauffassung fest, ein Kindergeldanspruch der Klägerin sei aufgrund des Umstandes, dass das Kind nicht im Haushalt der Klägerin in Deutschland, vielmehr im Haushalt des in Polen wohnhaften Vaters lebe bzw. gelebt habe, nicht begründet. Ob ie Vorschriften des deutschen Kindergeldrechts überhaupt anwendbar seien, bestimme sich im Verhältnis zu anderen Staaten der Europäischen Union (EU) nachden Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 [VO] und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung, der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 [DVO]. Nach den Durchführungsanweisungen zum über- und zwischenstaatlichen Recht sei das Kindergeld an denjenigen Elternteil zu zahlen, der gemäß § 64 EStG der Kindergeldberechtigte sei. Nach dem Urteil des EuGH vom 26.11.2009 in der Rechtssache C-363/08, Slanina, dürften die Ansprüche von anderen anspruchsberechtigten Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen EU-Staat haben, nicht allein wegen dieses Wohnsitzes unberücksichtigt bleiben. Sie seien daher in die Prüfung des § 64 EStG einzubeziehen (Hinweis auf Art 60 Abs. 1 Satz 2 DVO).
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 14.10.2011 erhobenen Klage.
Im Verlauf des Klageverfahrens ist aufgrund eines Organisationsakts (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18.4.2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) die Familienkasse C der Bundesagentur für Arbeit im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels als neue Beklagte in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit O – Familienkasse...