Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstausbildung bei Vollzeit-Erwerbstätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Die Annahme einer Erstausbildung ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Kind während des zweiten Ausbildungsabschnitts einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachgeht.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 62 Abs. 1 S. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
Nachgehend
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Sohn der Klägerin ab Januar 2013 zu Recht abgelehnt hat.
Der am 13.03.1992 geborene Sohn O. S. absolvierte von August 2008 bis zum 31.01.2012 eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Bereits während der Ausbildung wurden mehrere Gespräche mit dem Arbeitgeber über Studienmöglichkeiten nach Abschluss der Ausbildung gesprochen. Eine interne Bewerbung für eine Stelle im Rahmen eines berufsbegleitenden Studiums reichte O. S. gegen Ende seiner Ausbildung bei seinem Arbeitgeber ein. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheinigung der H-GmbH vom 01.03.2019 verwiesen.
Nach dem Ausbildungsabschluss beschäftigte ihn sein Arbeitgeber im Rahmen einer Vollzeittätigkeit (35 Stunden/Woche) weiter. O. S. hat sich am 02.08.2012 an der Fachhochschule (FH) C-Stadt (University of Applied Sciences) zum 01.09.2012 immatrikuliert und absolviert dort in Teilzeit ein berufsbegleitendes Studium Maschinenbau im Fachbereich der Ingenieurwissenschaften und Mathematik (Abschlussziel Bachelor of Engineering). Das Verbundstudium Maschinenbau besteht zu ca. 70 v.H. aus Selbststudienabschnitten und zu ca. 30 v.H. aus Präsenzveranstaltungen an der Fachhochschule. Übungen und Praktika finden in der Regel an jedem zweiten Samstag im Semester statt. Der 01.09.2012 war der frühestmögliche Immatrikulationszeitpunkt für diesen Studiengang. Zugangsvoraussetzung für dieses Studiums ist das Abitur bzw. die Fachhochschulreife, welche O. S. mit Beendigung seiner Ausbildung erlangt hat.
Am 22.12.2017 beantragte die Klägerin Kindergeld für O. S. bis März 2017 (Vollendung des 25. Lebensjahres). Die Beklagte lehnte den Antrag mit Kindergeldbescheid vom 23.01.2018 ab Februar 2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, O. S. habe eine erste Berufsausbildung bzw. ein Erststudium abgeschlossen und befinde sich aktuell in einer weiteren Berufsausbildung. Da O. S. einer Erwerbstätigkeit nachgehe, könne er gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2, 3 EStG nicht mehr berücksichtigt werden.
Mit dem hiergegen am 14.02.2018 eingelegten Einspruch vertrat die Klägerin die Auffassung, O. S. habe sich fortlaufend in einer Berufsausbildung befunden, die erst mit dem Abschluss zum Bachelor of Engineering beendet werde. Er habe von Anfang an das Berufsziel des Bachelor of Engineering gehabt. Bei den aufeinanderfolgenden Ausbildungen zum Industriemechaniker/Fachhochschulreife in Abendschule und Bachelor of Engineering handele es sich um eine mehraktige Ausbildungsmaßnahme, die Teil einer einheitlichen Erstausbildung seien. Sie seien zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses unmittelbar fortgesetzt werden sollte und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss habe erreicht werden können. Die Ausbildung zum Bachelor of Engineering setze eine Berufsausbildung voraus. Diese Voraussetzung habe O. S. erfüllt. Ein Anspruch auf Kindergeld sei auch nicht wegen der Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vollzeittätigkeit im betroffenen Zeitraum ausgeschlossen. Das Studium stelle vielmehr einen Teil der Erstausbildung dar. Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung sei die Erwerbstätigkeit im Streitzeitraum nicht anspruchsausschließend. Maßgeblich sei, dass O. S. sein Studium ernsthaft und nachhaltig betrieben habe.
Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 01.08.2018 als unbegründet zurück. Sie vertrat die Auffassung, dass regelmäßig mangels notwendigem engen Zusammenhang keine einheitliche Erstausbildung vorliege, wenn die weiterführende Ausbildung eine Berufstätigkeit voraussetze oder das Kind vor Beginn der weiterführenden Ausbildung eine Berufstätigkeit aufnehme, die – wie im Streitfall – nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung diene (Verweis auf BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl. II 2016, 615).
Die Klägerin hat am 04.09.2018 Klage wegen Kindergeld für den Zeitraum Februar 2012 bis März 2017 erhobenen. In der mündlichen Verhandlung hat sie die Klage hinsichtlich des Zeitraums Februar 2012 bis Dezember 2012 zurückgenommen. Im Übrigen verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23.01.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 01.08.2018 zu verpflichten, Kindergeld für O. S. für den Zeitraum Januar 2013 bis März 2017 festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen sowie hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie hält an ihr...