Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in Fällen der Antragsveranlagung
Leitsatz (redaktionell)
Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO findet in den Fällen der Antragsveranlagung keine Anwendung.
Normenkette
EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8, § 52 Abs. 55j S. 2; AO § 170 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob für die Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres 2004 Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Der Kläger ist ledig und bezog im Streitjahr ausschließlich Arbeitslohn. Hiervon hatte sein Arbeitgeber die Lohnsteuer einbehalten.
Am 18.03.2010 reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärung für 2004 bei dem Beklagten ein und gab an, er rechne mit einer Steuererstattung.
Der Beklagte wertete dies als Antrag auf Veranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes – EStG – und lehnte mit Bescheid vom 22.03.2010 den Antrag ab. Dies begründete er damit, der Antrag sei verspätet gestellt worden, da bereits zum 28.12.2007 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Im Falle einer Antragsveranlagung betrage die Verjährungsfrist gem. § 170 Abs. 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung – AO – vier Jahre, und zwar ohne Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 AO. Zusätzlich gelte für Veranlagungszeiträume vor 2005 die Übergangsregelung gem. § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes – JStG – 2008 vom 20.12.2007 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I S. 3150), aus der sich der Stichtag 28.12.2007 ergebe.
Der dagegen am 23.03.2010 eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Gegen die Einspruchsentscheidung vom 31.05.2010 hat der Kläger am 30.06.2010 Klage erhoben.
Nach seiner Auffassung ist die Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in verfassungskonformer Auslegung auch in Fällen einer Antragsveranlagung zu berücksichtigen, wie dies das FG Köln rechtskräftig festgestellt habe (FG Köln, Urteil vom 03.12.2008 11 K 4917/07, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2009, 480). Denn eine Ungleichbehandlung von Antragsveranlagung und Pflichtveranlagung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –. Das FG Köln habe die verfassungswidrige Ungleichbehandlung in den Gründen seines Urteils ausführlich dargelegt. Diesen Gründen schließe er – der Kläger – sich an.
Entgegen der Auffassung des Beklagten betrage die Festsetzungsfrist nicht lediglich vier Jahre ohne Anlaufhemmung. Dies ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 12.11.2009 VI R 1/09 (Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 227, 97, Bundessteuerblatt – BStBl – 2010, 406). Der BFH habe in diesem Fall lediglich entschieden, dass auch bei einer Antragsveranlagung die „allgemeinen Verjährungsregeln” gälten, ohne explizit auf die Anlaufhemmung einzugehen.
In Bezug auf neuere Rechtsprechung des BFH, wonach die Anlaufhemmung nicht gelten solle (BFH-Beschluss vom 23.02.2012 VI B 118/11, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV 2012, 919), sei eine Verfassungsbeschwerde bei dem Bundesverfassungsgericht – BVerfG – anhängig (Az. 1 BvR 924/12). Daher beantrage er – der Kläger – das „Ruhen des Verfahrens”.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheids vom 22.03.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.05.2010 eine Veranlagung zur Einkommensteuer 2004 entsprechend seiner Steuererklärung vom 18.03.2010 durchzuführen und eine gegenüber dem Lohnsteuerabzug um …. EUR niedrigere Einkommensteuer festzusetzen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Auffassung ist im Streitfall Festsetzungsverjährung eingetreten, da die Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bei der Antragsveranlagung nicht zu beachten sei. Dies werde auch durch das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 4. 5. 2010 4 K 478/10 (EFG 2010, 1611) sowie durch § 170 Nr. 3 des Anwendungserlasses zur AO – AEAO – in der bis zum 01.01.2008 geltenden Fassung bestätigt.
Der Berichterstatter des Senats hat mit Verfügung vom 06.02.2013 auf die Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 94a Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – hingewiesen. Innerhalb der zum 27.02.2013 gesetzten Frist hat keiner der Beteiligten einen Antrag gem. § 94a Satz 2 FGO gestellt.
Entscheidungsgründe
I.
Der Senat entscheidet nach billigem Ermessen ohne mündliche Verhandlung (§ 94a Satz 1 FGO), da der Streitwert nach dem Klageantrag den Betrag von 500,– EUR nicht übersteigt. Ein Antrag gem. § 94a Abs. 2 FGO ist nicht gestellt worden.
Der Senat ist durch die anhängige Verfassungsbeschwerde (Az. des BVerfG: 1 BvR 924/12) nicht an einer Entscheidung gehindert. Gem. § 74 FGO kann das Gericht die Verhandlung aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Bei einem vor dem BVerfG anhängigen Rechtsstreit kann die Aussetzung dann geboten ...