Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlängerung des Kindergeldanspruchs bei freiwillig geleistetem sozialen Jahr; Herabsetzung der Altersgrenze
Leitsatz (redaktionell)
1.) Eine Verlängerung des Kindergeldanspruchs über das 25. Lebensjahr des Kindes hinaus aufgrund eines freiwillig geleisteten sozialen Jahres kommt - auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - nicht in Betracht.
2.) Gegen die Herabsetzung der Altersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern auf das 25. Lebensjahr durch das Steueränderungsgesetz 2007 vom 19.06.2006 (BGBl. I 2006, 1652) bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 5 S. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 2; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Kindergeld auch für ein über 25 Jahre altes Kind zu gewähren ist, das ein sog. freiwilliges soziales Jahr anstelle des Zivildienstes geleistet hat.
Die Klägerin (Klin.) ist die Mutter des am … April 1984 geborenen Kindes H. In der Zeit vom 01.08.2003 bis zum 30.04.2004 leistete das Kind ein freiwilliges soziales Jahr. Für diesen Zeitraum erhielt die Klin. für ihren Sohn Kindergeld.
Nach Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres nahm das Kind ein Studium zum Dipl.-Architekten an der Universität T auf. Der Sohn der Klin. setzte ab 2008/2009 sein Studium in England fort.
Die durchschnittliche Studiendauer in dem vom Kind der Klin. aufgenommenen Studiengang liegt – nach dem Zahlenspiegel der Universität T – bei elf bis zwölf Semestern. Die Absolventen der Universität T sind hiernach im Durchschnitt 27,1 Jahre alt; 44 % aller Absolventen im Studiengang Architektur und Stadtplanung haben einen Auslandsaufenthalt zu Studienzwecken durchgeführt.
Mit Bescheid vom 31.03.2009 hob die Beklagte (Bekl.) die Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2009 auf. Zur Begründung wies die Bekl. darauf hin, dass das Kind mit Vollendung des 25. Lebensjahres keinen Anspruch auf Kindergeld mehr habe.
Am 07.04.2009 legte die Klin. gegen den Aufhebungsbescheid der Bekl. Einspruch ein. Zur Begründung trug die Klin. im Einspruchsverfahren vor, dass die besonderen Umstände im Hinblick auf die durchschnittliche Dauer des Studienganges sowie die grundsätzliche Pflicht zur Ableistung des Zivildienstes zu berücksichtigen seien. Sinn und Zweck des Kindergeldes sei es, das Kind während seiner gesamten ersten Ausbildung finanziell zu unterstützen und den Finanzbedarf der Eltern für das Existenzminimum des Kindes steuerlich freizustellen. Dieser Zweck werde verfehlt, wenn es praktisch unmöglich ist, während der durchschnittlichen Studiendauer Kindergeld zu beziehen. Die Eltern müssten während der Endphase des Studiums erhebliche finanzielle Unterstützungsleistungen erbringen, ohne dafür steuerlich entlastet zu werden. Aufgrund der durchschnittlichen Studiendauer des vom Kind gewählten Studienganges sowie des notwendigen Auslandsaufenthalts sei es dem Kind unmöglich, sein Studium bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres abzuschließen. Hilfsweise machte die Klin. geltend, dass die im Jahr 2007 durchgeführte Absenkung der Altersgrenze in § 32 Einkommensteuergesetz (EStG) von ehemals 27 auf 25 Jahre verfassungswidrig sei.
Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 12.06.2009 wies die Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung trug die Bekl. vor, dass das Kind mit Überschreiten der Altersgrenze nicht mehr berücksichtigungsfähig sei und ein Verlängerungstatbestand nach § 32 Abs. 5 EStG nicht vorläge.
Mit der am 15. Juli 2009 erhobenen Klage verfolgt die Klin. den geltend gemachten Kindergeldanspruch weiter. Unter Wiederholung der im Vorverfahren vorgetragenen Auffassung ergänzte die Klin. ihr Vorbringen dahingehend, dass nach ihrer Auffassung die Nichtaufnahme der Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres in den Verlängerungstatbestand des § 32 Abs. 5 EStG verfassungswidrig sei. Die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres sei mit der Zivildienstzeit vergleichbar. Durch die gesetzliche Regelung des § 14 c ZDG sei das freiwillige soziale Jahr als Wehrdienstersatz anerkannt. Kinder, die ein freiwilliges soziales Jahr ableisten, seien gegenüber Kindern, die Zivildienst leisten, benachteiligt. Es liege eine Ungleichbehandlung vor. Sowohl bei dem freiwilligen sozialen Jahr als auch beim Zivildienst handle es sich um Möglichkeiten der Kriegsdienstverweigerer, ihren bürgerlichen Pflichten nachzukommen. Die Ungleichbehandlung ergebe sich im vorliegenden Fall auch aus der besonderen Situation und dem bisherigen Lebensweg ihres Sohnes. Er werde das Studium in England fortsetzen und bei Beendigung des Studiums das durchschnittliche Alter der männlichen Absolventen der Universität T erreichen.
Die Absenkung der Altersgrenze im § 32 Abs. 4 und 5 EStG verstoße gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Rückwirkungsverbot und gegen den Grundsatzes des Vertrauensschutzes. Bei Beginn der Ausbildung des Sohnes sei die Absenkung der Altersgrenze nicht vorhersehbar gewesen. Im Vertrauen auf die damals ...