Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung des FA gegen USt-Erstattungsansprüche im Insolvenzverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Das Finanzamt bleibt während des Insolvenzverfahrens berechtigt, auch dann mit Steuerforderungen gegen Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche aufzurechnen, wenn beide Ansprüche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, diese aber aus einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen Tätigkeit resultieren.
Normenkette
AO § 218 Abs. 2; InsO §§ 94, 96, 55 Abs. 4; AO § 226; BGB § 387 ff.; InsO § 35
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides hinsichtlich der Aufrechnung von Umsatzsteuer-Erstattungsansprüchen des Klägers aus dessen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen freigegebenen, selbständigen Tätigkeit mit Steuerverbindlichkeiten, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, insbesondere um ein in diesem Zusammenhang bestehendes Aufrechnungsverbot.
Der Kläger übte unter der Firma „N „ eine selbständige Tätigkeit im Bereich Mechanik aus, in deren Zusammenhang er auch umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbrachte.
Am 03.05.2019 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts … über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. Daraufhin wurden verschiedene, von dem Beklagten zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen gegenüber dem Kläger festgestellt.
Mit Schreiben vom 20.05.2019 gab der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Klägers nach § 35 Abs. 2 Insolvenzordnung (InsO) frei. Fortan führte der Beklagte den Kläger unter der Steuernummer …
Aus den Umsatzsteuervoranmeldungen des Klägers unter der Steuernummer … für 12/2019 und 02/2020 bis 04/2020 ergaben sich Umsatzsteuer-Vergütungsansprüche (Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche) des Klägers i.H.v. insgesamt 12.358,65€ (12/2019 = 12.253,55€; 02/2020 = 26,92€; 03/2020 = 47,81€; 04/2020 = 30,37€) bei einer Fälligkeit am 10.02.2020, 11.05.2020 und 10.06.2020.
Diese Guthaben wurden am 14.08.2020 auf die Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2017 (1.018,93€ und 60,25€) und 2018 (5.522€ und 303,71€) unter der Steuernummer yyy und Lohnsteuer samt Annexabgaben lll/2018 (554,04€), Umsatzsteuer 2017 (2.653,90€) und 2018 (706,30€), Umsatzsteuer III/2018 (911,53€, 26,92€, 47,81€ und 30,37€) Umsatzsteuer Februar 2020 (97,89€) und Umsatzsteuer 2020 (425€) unter der Steuernummer zzz umgebucht bei einer Fälligkeit vom 17.09.2018 bis 09.10.2019.
Am 04.09.2020 erhob der Kläger Einwendungen gegen die Umbuchung und beantragte die Feststellung der Nichtigkeit der Umbuchung bzw. den Erlass eines Abrechnungsbescheides.
Ebenfalls am 04.09.2020 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Umbuchung bzw. Aufrechnung rechtmäßig sei; die Angelegenheit werde daher als erledigt angesehen.
Am 25.09.2020 legte der Kläger Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses eines Abrechnungsbescheides ein und beantragte die ersatzlose Aufhebung der Umbuchung und die Feststellung der Nichtigkeit.
Am 11.02.2021 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid, in dem er das Erlöschen des Erstattungsanspruchs aus den Umsatzsteuerguthaben i.H.v. 12.358,65€ durch Umbuchung auf die Insolvenzschulden des Klägers bzw. Aufrechnung feststellte. Grundlage sei die wirksame Aufrechnung. Die Umsatzsteuerguthaben seien im Rahmen der freigegebenen Tätigkeit entstanden, die gemäß 35 Abs. 2 lnsO nicht dem Insolvenzbeschlag unterlägen. Damit stünden die Erstattungsansprüche dem Kläger und nicht dem Insolvenzverwalter zu. Es sei nach § 94 InsO eine Aufrechnung mit allen insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen möglich; ein Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 lnsO greife nicht ein.
Hiergegen legte der Kläger am 09.03.2021 Einspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, es läge eine willkürliche, rechtswidrige und ermessensfehlerhafte Aufrechnung mit angemeldeten Steuerforderungen zur Insolvenzmasse aus der freigegebenen Tätigkeit vor. Es bestünden zivilrechtliche Verstöße gegen die Gläubigerbevorzugung und das Vollstreckungsverbot. Auf die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 lnsO sei gar nicht erst einzugehen. Die Nichtberichtigung der angemeldeten Forderungen zeige die Nichtigkeit der Umbuchungen an. Aus der Neufassung des § 55 Abs. 4 lnsO leite sich ab, dass die Massesicherungspflicht Vorrang vor dem steuerrechtlichen Abführungsgebot habe und als zusätzliches Aufrechnungsverbot auszulegen sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom 14.10.2021 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Aufrechnung von Umsatzsteuerguthaben aus der freigegebenen Tätigkeit mit vorinsolvenzlichen Steuerverbindlichkeiten sei nicht zu beanstanden. § 55 Abs. 4 InsO finde auf den Streitfall keine Anwendung. Aufgrund der Freigabe durch den Insolvenzverwalter gehöre der freigegebene Neuerwerb nicht zur Insolvenzmasse. Die streitgegenständlichen Guthaben seien nach Verfahrenseröffnung in der freigegebenen Tätigkeit...