Entscheidungsstichwort (Thema)

Heilung der sachlichen Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service

 

Leitsatz (redaktionell)

Die sachliche Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service bei Ablehnung eines Stundungsantrags wird nicht dadurch geheilt, dass die sachlich und örtlich zuständige Familienkasse die Einspruchsentscheidung erlässt.

 

Normenkette

AO §§ 126-127, 16; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11; AO § 125

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.02.2023; Aktenzeichen III R 21/22)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Stundung von Beträgen, die sich aus der Rückforderung von überzahltem Kindergeld ergeben.

Die streitbefangenen Rückforderungsbeträge resultieren aus der Aufhebung der gegenüber dem Kläger erfolgten Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum August 2011 bis November 2011 (Bescheid vom 28.02.2012) und der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab Juli 2015 (Bescheid vom 29.03.2016) durch die Familienkasse Nordrhein-Westfalen A. Die Rückforderungsbeträge in unstreitiger Höhe konnten von dem Kläger nicht vollständig getilgt werden; er erbrachte Ratenzahlungen. Dieser Bescheid über die Rückforderung des überzahlten Kindergeldes wurde bestandskräftig. Die Vollstreckung des Rückforderungsbescheides übernahm die Beklagte (die Agentur für Arbeit S – Inkasso-Service –).

Mit Schreiben vom 28.08.2018 wies die Beklagte darauf hin, dass die Ratenzahlungsvereinbarung bis August 2018 befristet gewesen sei. Die E-Mail des Klägers vom 20.08.2018, mit der er darauf hinwies, dass er zwei Mahnungen per Post über Beträge in Höhe von 1.508,– EUR und 250,– EUR erhalten habe, er aber seit 2015 monatliche Raten in Höhe von 15,– EUR zahle, werte sie, die Beklagte, als Stundungsantrag. Der Kläger reichte am 06.09.2018 den angeforderten Fragebogen zur Prüfung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse zur Kindergeldakte, in dem er unter anderem ausführte, dass er momentan leider von Arbeitslosengeld II lebe und er nicht die Möglichkeit habe, den geforderten Betrag zu zahlen. Daher sei die Rate von monatlich 15,– EUR vereinbart worden. Mit Bescheid vom 02.10.2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Stundung ab. Der Kläger legte am 11.10.2018 Einspruch gegen diesen Bescheid ein. Da er Arbeitslosengeld II erhalte, sei er momentan nicht in der Lage, die angeforderte Summe auf einmal zu zahlen. Die Familienkasse Nordrhein-Westfalen A erließ unter dem 06.12.2018 die Einspruchsentscheidung, mit der sie den Einspruch als unbegründet zurückwies.

Der Kläger hat am 07.01.2019 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Die geltend gemachte Forderung werde dem Grunde und der Höhe nach nicht bestritten. Er habe jedoch aufgrund seiner fehlender Leistungsfähigkeit beantragt, die geltend gemachten Ansprüche zunächst zu stunden. Aufgrund der Tatsache, dass er bereits seit September 2015 die Forderung regelmäßig in monatlichen Raten zurückführe, dürfte eine Stundungswürdigkeit zu bejahen sein, zumal seine wirtschaftlichen Verhältnisse eine höhere Ratenzahlung jedenfalls nicht zulassen würden.

Das Klageverfahren ruhte zunächst im Hinblick auf das BFH-Verfahren III R 21/18 (vgl. BFH-Urteil vom 07.07.2021 III R 21/18, BFH/NV 2021, 1457).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 02.10.2018 und die Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Stundung der Rückforderungsbeträge zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und erwidert auf den richterlichen Hinweis vom 21.02.2022: Eine auf eine Stundung gerichtete Verpflichtungsklage richte sich – wenn die sachlich unzuständige Familienkasse den Ausgangsbescheid gefertigt, aber die Familienkasse, die sachlich und örtlich zuständig sei, die Einspruchsentscheidung erlassen habe, zulässigerweise gegen die Familienkasse, die die Einspruchsentscheidung erlassen habe. Die Regelung des § 63 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei in diesem Fall analog anzuwenden. Rechtlich sei nie ein Zuständigkeitswechsel eingetreten, so dass § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht unmittelbar anwendbar sei. Aber da die wirklich zuständige Behörde über den Einspruch entschieden habe, sei die Vorschrift entsprechend anzuwenden. Dabei könnten die Motive, die die Verwaltung zum Zuständigkeitswechsel bewogen hätten, keine Rolle spielen. Auch die zufällige Übertragung des Einspruchsverfahrens – hier aufgrund einer vermeintlichen Sonderzuständigkeit – auf die tatsächlich zuständige Behörde löse die analoge Anwendung des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO aus. Durch die Entscheidung der sachlich und örtlich zuständigen Behörde sei eine Heilung gemäß § 126 Abs. 2 AO eingetreten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben gemäß § 90 Abs. 2 FGO auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidun...

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