Entscheidungsstichwort (Thema)
Dreitagesfiktion, Übermittlung eines Briefs durch privaten Dienstleister
Leitsatz (redaktionell)
Die dreitägige Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt nicht bei der Übersendung einer Einspruchsentscheidung durch einen privaten Postdienstleister, der zur Briefbeförderung einen weiteren Subunternehmer zwischenschaltet, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Zustellung mit einer gleich hohen Verlässlichkeit zu erwarten ist wie bei einer Versendung im Rahmen des Postuniversaldienstes.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klage fristgerecht erhoben worden ist.
Der Kläger ist ausländischer Staatsangehöriger. Er hatte ab August 2011 einen Wohnsitz im Inland in S. und seit August 2014 in C.. Der Kläger hat zwei Töchter, X. (geboren am 19.9.1993) und Y. (geboren am 5.8.2004). X. war von August 2011 bis einschließlich April 2013 in Ausbildung an der … Schule im Ausland, Y. besuchte im Streitzeitraum zunächst die Grundschule und anschließend die städtische Gemeinschaftsschule in C..
Einen im September 2012 gestellten Kindergeldantrag für seine Töchter X. und Y. lehnte die Beklagte am 30.4.2013 ab. Den hiergegen von dem Kläger am 13.05.2013 eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 5.11.2015 als unbegründet zurück. Auf der Einspruchsentscheidung ist vermerkt: „abgesandt am 6.11.2015”. Die zuständige Bearbeiterin hatte die Entscheidung am Donnerstag, den 5.11.2015, vor Dienstschluss gefertigt. Da die Post an diesem Tag bereits abgeholt worden war, wurde der nächste auf diesen Tag folgende Tag als Absendedatum im System vermerkt. Der Postausgang (Briefpost) der Beklagten am Standort Z. wurde im November 2015 durch ein Sub-Unternehmen des regionalen Postdienstleisters (RPD), nämlich durch Q., Z., abgeholt.
Der Kläger hat gegen den ablehnenden Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung am 10.12.2015 Klage erhoben (Az. 13 K 3907/15 Kg).
Im Laufe des Klageverfahrens ist aufgrund weiterer von der Beklagten angeforderter und vom Kläger erstmals vorgelegter Nachweise zwischen den Beteiligten unstreitig geworden, dass der Kläger für seine Tochter X. für den Zeitraum von August 2011 bis April 2013 und für seine Tochter Y. für den Zeitraum von August 2011 bis November 2015 einen Anspruch auf Kindergeld hat. Die Beklagte hat sich daraufhin auf die Unzulässigkeit der Klage berufen, da diese nicht fristgemäß erhoben worden sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung gemäß § 56 FGO nicht bekannt seien.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht am 7.11.2016 hat die damalige Prozessbevollmächtigte auf Nachfrage erklärt, der Kläger habe ihr in einem Gesprächstermin gesagt, dass er die Einspruchsentscheidung am Tag seines Anrufes bei ihr am 10.11.2015 erhalten habe. Sie habe die Einspruchsfrist daher entsprechend berechnet. Im Anschluss an den Termin hat die Beklagte einen Schriftsatz vom 12.1.2017 überreicht, nach welchem freitags an dem Standort der Familienkasse … in Z. jeweils ein Botengang um 9 Uhr stattfinde, bei welchem die Ausgangspost in den Ablagen der Beschäftigten eingesammelt werde. Dies gelte auch für Freitag, den 6.11.2015, für welchen noch ein Dienstplan vorliege. Die Ausgangspost werde freitags anschließend zwischen 12:30 Uhr und 13:00 Uhr durch den Kurierdienst (Q.) abgeholt.
Der Kläger hat bestritten, dass am 6.11.2015 ein Botengang stattgefunden habe, dass das Schreiben an diesem Tag von einem Kurierdienst abgeholt worden sei und dass die Einspruchsentscheidung tatsächlich innerhalb von drei Tagen zugestellt worden sei. Zudem hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers ein ihr am 2.12.2016 zugegangenes Schreiben der Beklagten vorgelegt, welches auf den 18.11.2016 datierte. Auf dem Umschlag befanden sich zwei Stempel, nämlich ein Stempel vom 21.11.2016 und ein Stempel vom 26.11.2015. Dies zeige, dass die Schreiben der Beklagten nicht immer innerhalb von drei Tagen bei den Empfängern ankämen.
Mit Urteil vom 30.3.2017 (13 K 3907/15 Kg) hat der Senat die Klage wegen Versäumung der Klagefrist abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sei er zur Überzeugung gelangt, dass die Einspruchsentscheidung von der Beklagten am 6.11.2015 zur Post gegeben worden sei. Dem Kläger sei es auch nicht gelungen, die gesetzliche Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zu entkräften.
Dieses Urteil hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Gerichtsbescheid vom 14.6.2018 (III R 27/17, Bundessteuerblatt (BStBl) II 2019, 16) aufgehoben und die Sache an das hiesige Gericht zurückverwiesen, da die tatsächlichen Feststellungen nicht ausreichten, um die Zulässigkeit der Klage beurteilen zu können. Das Finanzgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, nähere Ermittlungen zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Einspruchsentscheidung anzustellen, obwohl sich entsprechende Ermittlungen hätten aufdrängen müssen. Zwar habe das Finanzgericht zutreffend festgestellt, dass die Beklagte die Einspruchs...