Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivilprozesskosten in 2010 als außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz (redaktionell)
Wird der Steuerpflichtige als Beklagter in einen Zivilprozess hineingezogen und nimmt er seine Rechte in diesem Verfahren wahr, so sind die Kosten des Prozesses im Jahr 2010 als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG findet erst ab 30.6.2014 Anwendung und schließt den Abzug daher noch nicht aus.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist der Abzug von Aufwendungen für einen Zivilprozess als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Einkommensteuergesetz (EStG).
Die Ehe der nichtselbstständig tätigen Klägerin (Klin.) mit Herrn X W (W) wurde durch das Urteil des Amtsgerichts I vom xx.xx.2000 rechtskräftig geschieden. Da die Klin. und W gemeinsame Eigentümer eines Zweifamilienhauses in I, A-Straße 2, waren, hatten sie am 17.06.1999 einen Ehevertrag geschlossen, in dem geregelt war, dass ein Verkauf des Hauses bis zum Abitur des Kindes S und dessen danach zu erwartenden Auszugs, spätestens jedoch bis zum 31.12.2008 ausgeschlossen ist. Die Hauslasten sollten, solange noch beide, die Klin. und W, das Haus (in getrennten Haushalten) bewohnen, weiterhin von W getragen werden. Die Klin. bewohnte im Haus die untere Wohnung – auch nachdem W im Februar 2001 auszog. W trug weiterhin die Kreditbelastungen für das gemeinsame Haus. Von der Miete, die W aus der Vermietung der oberen Wohnung vereinnahmte, zahlte er die Hälfte an die Klin. Nachdem der Sohn S seit Sommer 2007 an seinem Studienort wohnte, führten die Klin. und W Verhandlungen über die Auseinandersetzung des Hauseigentums. W erklärte seine Bereitschaft, das Haus bei gleichzeitiger Übernahme sämtlicher Darlehensbelastungen in sein Alleineigentum zu übernehmen. W forderte in diesem Zusammenhang auch eine Nutzungsentschädigung für das Bewohnen des Hauses durch die Klin. und eine hälftige Beteiligung der Klin. an den Kreditraten. Schließlich ging W gerichtlich gegen die Klin. vor, worauf die Klin. Widerklage erhob, mit welcher sie u.a. geltend machte, dass sie für ein von W aufgenommenes …-Darlehen über 47.000 EUR nicht hafte. In dem vor dem Amtsgericht I geführten Zivilprozess, Az. 00 F 0000/08, schlossen die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2009 einen Vergleich, in welchem sie den Wohnwert der von der Klin. genutzten Wohnung auf 600 EUR festlegten und sich die Klin. verpflichtete, an W ab dem 01.01.2009 monatlich 300 EUR für die Nutzung der Erdgeschosswohnung samt des im ersten Obergeschosses von ihr mit genutzten Zimmers im Haus A-Straße zu zahlen. Regelungen zu der Frage der Nutzungsentschädigung vor dem 01.01.2009 und der Frage der Teilung der Kreditbelastungen und weiterer Hauskosten wurden nicht getroffen. Mit am 28.10.2009 verkündeten Urteil wies das Amtsgericht I die Widerklage der Klin. ab und verurteilte sie, an W als Nutzungsentschädigung für 2008 einen weiteren Betrag von 2.519 EUR zzgl. Zinsen zu zahlen. Gegen dieses Urteil legte die Klin. Berufung beim Oberlandesgericht J ein (Az. 0 UF 000/09). In der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens vom 02.09.2010 schlossen die Klin. und W einen Vergleich insbesondere hinsichtlich der Nutzungsentschädigung, der Übernahme des Miteigentumsanteils des W durch die Klin. und hinsichtlich der Darlehensverbindlichkeiten. Wegen der Einzelheiten des Zivilprozesses vor dem Amtsgericht I und dem Oberlandesgericht J wird auf Blatt 26 bis 58 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Klin. wurde mit Bescheid vom 09.09.2011 zur Einkommensteuer (ESt) 2010 veranlagt. Hierbei wurden als außergewöhnliche Belastungen Ausbildungskosten i.H.v. 462 EUR berücksichtigt. Gegen diesen Bescheid legte sie Einspruch ein und machte u.a. unter Hinweis auf die neuere BFH-Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) noch die ihr in 2010 entstandenen Zivilprozesskosten aus dem vor dem Oberlandesgericht J geführten Berufungsverfahren in Form von Rechtsanwaltskosten und Gerichtskosten in Höhe von insgesamt 6.331,18 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend. Auf die Rechnungen und Zahlungsnachweise hierüber wird Bezug genommen. Erstattungen aus einer Rechtsschutzversicherung erhielt die Klin. nicht. Der Bekl. teilte der Klin. unter Hinweis auf das BMFSchreiben vom 20.12.2011, IV C 4 – S 2284/07/0031:002, 2011/1025909, BStBl I 2011, 1286, mit, dass das BFH-Urteil vom 12.05.2011 nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anwendbar sei. Deshalb erließ der Bekl. auf den Einspruch der Klin. am 04.10.2011 einen gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid, mit dem er aber die von der Klin. erklärten Zivilprozesskosten nicht berücksichtigte. Unter dem 04.01.2012 erging zur Berücksichtigung von der Klin. nicht angegebener Unterhaltsleistungen ihres geschiedenen Ehemannes ein weiterer, gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderter Bescheid, mit dem der Bekl. die ESt 2010 nunmehr auf 6.964 EUR festsetzte. In den Erläuterungstexte...