Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung, Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen, Mitteilungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Rückforderung von Kindergeld ist aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn das Kindergeld vollständig bei der Bemessung der Grundsicherung (SGB XII-Leistungen) angerechnet wurde und ein wirtschaftlicher Vorteil daher weder dem Kind, dem verstorbenen Kindergeldberechtigen noch dem Erben und Betreuer des Kindes durch Auszahlung des Kindergelds entstanden ist.
2) Eine Mitteilungspflicht des Erben nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG betreffend den Todesfall des Kindergeldberechtigten besteht nicht, wenn dieser weder Kindergeld beantragt noch erhalten hat.
Normenkette
EStG § 68 Abs. 1 S. 1; AO § 227
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob dem Kläger die Rückzahlung von Kindergeld für B D in Höhe von 4.482 € zuzüglich Säumniszuschlägen zu erlassen ist.
Der Kläger ist seit 2007 Betreuer seines schwerbehinderten Bruders B D, geboren am 00.00.1968. Für B D bezog I D, deren Vater, Kindergeld. Am 00.08.2014 verstarb I D. Der Kläger wurde Erbe und Gesamtrechtsnachfolger des Verstorbenen. Das Kindergeld hatte die Beklagte ehemals nach einer Veränderungsmitteilung aus dem Jahr 2002, d.h. auch das den Streitzeitraum betreffende Kindergeld, auf das Konto des Kindes B D bei der T-Bank (Bankleitzahl 000 000 01) unter der Kontonummer 0000001 überwiesen.
B D bezog im Streitzeitraum (Oktober 2014 bis Juli 2016), wie sich aus den jeweiligen Bescheiden der Stadt H ergibt, Leistungen „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung”) nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII). Bei der Berechnung des Leistungsumfangs wurde das Kindergeld leistungsmindernd als Einkommen berücksichtigt und in voller Höhe vom sozialrechtlichen Bedarf B D's abgezogen. Die Überweisung der Grundsicherung erfolgte ebenfalls auf das vorstehende Konto B D.
Mit Bescheid vom 27.9.2016 forderte die Beklagte für die Monate September 2014 bis Juli 2016 überzahltes Kindergeld i. H. von 4.322 € vom Kläger zurück, weil der Anspruchsberechtigte (Vater) verstorben sei und daher kein Anspruch auf Kindergeld für den Sohn B D mehr bestehe. Der Kläger als Erbe seines Vaters habe das überzahlte Kindergeld zu erstatten. Den dagegen eingelegten Einspruch des Klägers wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 3.11.2016 als unbegründet zurück. Die daraufhin erhobene Klage (15 K 2785/17 Kg) nahm der Kläger nach Erörterung des Sach- und Streitstands vor dem Berichterstatter des erkennenden Senats zurück.
Parallel zur Klage gegen den Rückforderungsbescheid beantragte der Kläger, ihm die Rückforderung des überzahlten Kindergelds zu erlassen. Mit Bescheid vom 1.2.2018 erließ die Beklagte einen Teilbetrag von 184 € (Überzahlung/Rückforderung für den Monat September 2014) und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 29.5.2018 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass lediglich für den ersten Monat der Überzahlung die Rückforderung auch bei rechtzeitiger Mitwirkung nicht vermeidbar gewesen wäre, so dass nur insoweit ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen auszusprechen sei. Im Übrigen seien Billigkeitsgründe nicht gegeben, da der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht nachgekommen sei. Der Kläger hätte als Erbe und Betreuer B D's ihr, der Beklagten, den Tod des Vaters I D's mitteilen müssen. Dann wäre es nicht zur Überzahlung gekommen. Die Überzahlung beruhe daher allein auf dem Verschulden des Klägers. Auch die Anrechnung des Kindergelds beim Arbeitslosengeld II (sic! bei der Grundsicherung) ohne nachträgliche Auszahlung durch das JobCenter (sic! die Stadt H) führe zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien im Billigkeitsverfahren das Verhalten des Kindergeldberechtigten, der Familienkasse und des Sozialleistungsträgers gegeneinander abzuwägen. Im vorliegenden Fall sei ihr, der Beklagten, kein Fehlverhalten anzulasten, das zu einer Überzahlung des Kindergelds geführt habe. Im Rahmen des Ermessens sei zu berücksichtigen, dass eine generelle Verpflichtung zum Erlass des Kindergeldrückforderungsanspruchs bei einer Anrechnung auf die bezogenen SGB II Leistungen (sic! SGB XII Leistungen) die Funktionsfähigkeit der Familienkassen erheblich beeinträchtigen würde. Die Empfänger von SGB II Leistungen könnten dann nämlich folgenlos ihre Mitwirkungspflichten verletzen. Auch eine persönliche Unbilligkeit liege nicht vor, da die wirtschaftliche Existenz des Klägers aufgrund der gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen nicht gefährdet sei. Der Kläger sei schließlich nicht erlasswürdig, da die Rückforderung auf der Versäumung seiner Mitwirkungspflichten beruhe.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass für den streitgegenständlichen Zeitraum das zugeflossene Kindergeld bei der Grundsicherung als...