Entscheidungsstichwort (Thema)
Retrograde Methode, Selbstkosten, Soll-Rohertrag
Leitsatz (redaktionell)
1) Bei der Ermittlung einer Teilwertabschreibung auf den Wertansatz fertiger Erzeugnisse und Waren nach der retrograden, am Absatzmarkt orientierten Berechnungsmethode ist bei der Ermittlung des „Soll-Rohertrags” nicht auf einen durchschnittlichen Branchenwert, sondern auf die betrieblichen Kennzahlen in den Jahresabschlüssen des Steuerpflichtigen abzustellen.
2) Bei der retrograden Ermittlung der Teilwertabschläge sich auch die Selbstkosten zu berücksichtigen, zu denen auch lagerzeitabhängige Kosten rechnen.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2-3; KStG § 8 Abs. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewertung von Warenvorräten in den Streitjahren 2009 bis 2012.
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der An- und Verkauf von Saisonwaren … ist. Alleiniger Geschäftsführer nach der Handelsregistereintragung (HRB … des Amtsgerichts …) ist Y.
Die Klägerin erstellte unter Berücksichtigung eines abweichenden Wirtschaftsjahres (1. Juli bis 30. Juni) Steuererklärungen und ermittelte ihren Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –. Sie gelangte zu Jahresüberschüssen von 18.440,42 € zum 30.6.2009, 198.273,12 € zum 30.6.2010, 212.500,04 € zum 30.6.2011 und 97.697,88 € zum 30.6.2012.
Die Gewinn- und Verlustrechnungen der Klägerin enthielten unter anderem die folgenden Kennzahlen:
|
30.6.2009 |
30.6.2010 |
30.6.2011 |
30.6.2012 |
Umsatzerlöse |
5.188.030,80 |
5.798.920,10 |
6.680.309,40 |
6.763.646,30 |
Materialaufwand |
2.398.852,10 |
2.533.580,00 |
3.037.997,90 |
3.147.160,70 |
Rohgewinn I in % |
53,76 |
56,31 |
54,52 |
53,47 |
Rohgewinn-Durchschnitt in %: |
54,52 |
|
|
Im Vorjahr (30.6.2008) betrugen die Umsatzerlöse 4.781.157,30 €, der Materialaufwand 2.237.081,10 € (Rohgewinn I: 53,21 %).
In den Berichten über die Prüfung der handelsrechtlichen Jahresabschlüsse nebst Steuerbilanzen und der Lageberichte zum 30.6.2009 bis 2012 war jeweils in der Anlage 7 (Aufgliederung und Erläuterung zu den Posten der Handelsbilanz) unter C. (Umlaufvermögen), I. (Vorräte), 3. (fertige Erzeugnisse und Waren) ausgeführt, dass die Klägerin ihre Waren durch Inventurlisten und eine EDV-Auswertung mit einem Warenwirtschaftssystem erfasst hatte. Weiter war jeweils unter Tz. 3.1.2 ausgeführt, die Bewertung der Saisonwaren im Lager und in den Filialen erfolge zu Einstandspreisen unter Berücksichtigung eines Abschlages für Skonti, Boni, Warenbezugskosten u.ä. von 2,26 % zum 30.6.2009, 2,58 % zum 30.6.2010, 0,88 % zum 30.6.2011 und 0,85 % zum 30.6.2012. Zudem sei ein Teilwertabschlag vorgenommen worden, wobei konsequent die Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 24.2.1994 IV R 18/89 (Bundessteuerblatt – BStBl – II 1994, 514) gezogen worden seien. Der Teilwertabschlag sei retrograd unter Berücksichtigung von zeitabhängigen Lagerkosten ermittelt worden. Diese lagerzeitabhängigen Kosten bestünden im Wesentlichen aus der Finanzierung des Warenbestandes sowie aus den durch die Warenwirtschaft verursachten Personal- und Logistikkosten. Die Kosten erhöhten sich proportional mit dem zunehmenden Alter der Ware. Die Roherträge, die sich mit steigendem Alter der Ware durch Preisreduzierungen und mit steigenden lagerzeitabhängigen Kosten immer mehr verringerten, seien dabei dem Soll-Rohertrag gegenübergestellt worden. Der Soll-Rohertrag sei als ein Mindestrohertrag zu verstehen, der erzielt werden müsse, um verlustfrei zu arbeiten. Er betrage 56 % zum 30.6.2009 und 2010 und 57 % in den beiden Folgejahren. Aufgrund der ermittelten Rohertragsdifferenzen sei ein Teilwertabschlag von 38 % im Jahr 2009 und 39 % in den Folgejahren errechnet worden. Dies führe zu der folgenden Bewertung des Bestands an Saisonwaren:
|
30.6.2009 |
30.6.2010 |
30.6.2011 |
30.6.2012 |
historische Einkaufspreise |
1.242.008,80 |
1.029.733,50 |
1.313.826,40 |
1.438.655,60 |
Skonti, Boni etc. |
-28.122,82 |
-26.613,00 |
-11.535,82 |
-12.231,26 |
Zwischensumme |
1.213.886,00 |
1.003.120,50 |
1.302.290,60 |
1.426.424,30 |
Teilwertabschlag (38%/39%) |
-461.276,62 |
-391.217,14 |
-507.893,49 |
-556.305,67 |
Summe |
752.609,39 |
611.903,43 |
794.397,13 |
870.118,78 |
In den Bilanzen der Klägerin waren die in der vorstehenden Tabelle genannten Summen jeweils unter der Position C I.3. „Fertige Erzeugnisse und Waren” enthalten.
Die Gewinn- und Verlustrechnungen der Klägerin enthielten keine Abschreibungen auf das Umlaufvermögen (Anlage 8 der Berichte über die Prüfung der handelsrechtlichen Jahresabschlüsse, jeweils Punkt 7.b).
Den Soll-Rohertrag von 56 % bzw. 57 % hatte die Klägerin ermittelt, indem sie ihre tatsächliche Umsatzrendite mit der branchenüblichen Umsatzrendite zzgl. Ertragsteuerbelastung verglich und hieraus einen notwendigen Erhöhungsprozentsatz für den Soll-Rohertrag errechnete. Es ergab sich die folgende Berechnung:
|
30.6.2009 |
30.6.2010 |
30.6.2011 |
30.6.2012 |
Umsatzerlöse |
5.188.030,80 |
5.798.920,10 |
6.680.309,40 |
6.763.646,30 |
Jahresüberschuss |
18.440,70 |
198.273,12 |
212.500,04 |
97.697,88 |
Ums... |