Entscheidungsstichwort (Thema)
Mittelvorsorgepflicht, grob fahrlässige Pflichtverletzung, anwaltlicher Rat
Leitsatz (redaktionell)
Ein Geschäftsführer, der die zur Begleichung der Lohnsteuerverbindlichkeit erforderlichen Mittel nicht am Fälligkeitstag auf dem Konto bereithält, für das zugunsten des Finanzamts eine Lastschrifteinzugsermächtigung besteht, verstößt zwar gegen die ihm obliegende Mittelvorsorgepflicht. Dies begründet aber kein Verschulden in Form einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung, wenn der Geschäftsführer mit der Überweisung der für die Lohnsteuerzahlung erforderlichen Mittel auf ein Treuhandkonto anwaltlichem Rat und einer diesbezüglichen Bestätigung des vorläufigen Sachwalters gefolgt ist und keinen Anlass hatte, die Rechtsauskünfte in Zweifel zu ziehen.
Normenkette
AO §§ 69, 34 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides über Lohnsteuerverbindlichkeiten der Firma „N-GmbH” in Höhe von X Euro.
Der Kläger wurde zu Beginn des Jahres 2012 als Geschäftsführer der „N-GmbH” (N-GMBH) bestellt. Bei der N-GMBH handelt es sich um einen Automobilzulieferer (wichtigster Kunde: Konzern) mit Sitz in C, einem großen Produktions- und Entwicklungsstandort in E, Tochterfirmen in A-Land und B-Land und rund 1.200 Beschäftigten. Wegen der wirtschaftlich schlechten Situation des Unternehmens waren der Kläger und ein weiterer Geschäftsführer als sog. „Turnaround-Manager” in das Unternehmen geholt worden, um die Restrukturierung und Sanierung zu begleiten. Die Bemühungen mündeten darin, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer wegen zum 00.00.2012 drohender Zahlungsunfähigkeit am 00.00.2012 Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung für die N-GMBH stellten (Blatt 36 bis 47 der Gerichtsakte). Mit Beschluss vom 00.00.2012 (00 IN 000/12) bestimmte das Amtsgericht G Herrn Rechtsanwalt O zum vorläufigen Sachwalter. Anordnungen nach § 270a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 Insolvenzordnung (InsO) enthält der Beschluss nicht. Zu den Einzelheiten wird auf den Beschluss in der Erhebungsakte Bezug genommen. Von der laut Beschluss bestehenden Möglichkeit, die Kassenführung an sich zu ziehen, hat der vorläufige Sachwalter keinen Gebrauch gemacht (vgl. dessen Schreiben vom 08.09.2016, Blatt 273 ff (274) der Gerichtsakte).
Die Löhne für den Monat Juni 2012 hatten die Beschäftigten der N-GMBH ungekürzt erhalten. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden abgeführt. Am 09.07.2012 ging auch die Lohnsteueranmeldung für Juni 2012 über X Euro beim Beklagten ein. Nach der von der Geschäftsführung der N-GMBH eingeholten, eingehenden Rechtsberatung (R Rechtsanwälte, Niederlassung U) war die Verpflichtung zur Entrichtung der Lohnsteuer Juni 2012 wegen der Fälligkeit am 10.07.2012 und damit nach Stellung des Insolvenzantrags rechtlich zweifelhaft. Die Beratung erfolgte im Wesentlichen durch Herrn Rechtsanwalt S, der am 09.07.2012 auch zum Handlungsbevollmächtigten gemäß § 54 Handelsgesetzbuch (HGB) für die N-GMBH bestellt wurde. Aufgrund der entsprechenden Beratung wurden am 09.07.2012 (vgl. Kontoauszüge Blatt 284 und 286 der Gerichtsakte) X Euro auf ein durch Herrn Rechtsanwalt F (R Rechtsanwälte) eingerichtetes Treuhandkonto überwiesen.
Für Zwecke der Lohnsteuerzahlung hatte die N-GMBH dem Beklagten für das Geschäftskonto Nr. 001 bei der Bank 1 eine Lastschrifteinzugsermächtigung erteilt, die mit am 20.07.2012 beim Beklagten eingegangenen Schreiben (Erhebungsakte) widerrufen wurde. Am Tag der Fälligkeit der Lohnsteuerzahlung (10.07.2012) wies das Konto kein Guthaben aus (Blatt 284 der Gerichtsakte). Auf dem Cashpoolkonto (Nr. 002), von dem das vorgenannte Konto bei Bedarf automatisch aufgefüllt wurde, befand sich ein Guthaben in Höhe von X Euro.
Der vom Beklagten ausweislich des Erhebungskontoauszugs vom 18.07.2012 (Haftungsakte) am 11.07.2012 angestoßene Einzug der angemeldeten Lohnsteuerbeträge scheiterte (Rückbuchung 13.07.2012).
Mit Schreiben vom 11.07.2012 (Blatt 278 der Gerichtsakte) hatte die Bank 1 gegenüber der N-GMBH die Geschäftsbeziehungen gekündigt, u. a. auch das Konto, von dem der Lastschrifteinzug durch den Beklagten erfolgte. Das Konto wurde gesperrt. Am 12.07.2012 (Blatt 301 der Gerichtsakte 3 K 1537/14 L) teilte der vorläufige Sachwalter der Bank 1 mit, er gebe die betroffenen Konten ausdrücklich frei. Demgegenüber vertrat die Bank 1 die Auffassung, dass aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts G vom 10.07.2012 die Verfügung über die Konten nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters möglich sei (Schreiben vom 18.07.2012, Blatt 170 f der Gerichtsakte).
Der vorläufige Sachwalter wies am 19.09.2012 die Zahlung der Lohnsteuerverbindlichkeiten an (Erhebungskontoauszug vom 16.10.2012, Erhebungsakte), die der Beklagte jedoch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des Amtsgerichts G vom 00.00.2012 aufgrund einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung wieder zurückgewähren musste.
Daraufhin nahm der Beklagte den Kläger und auch den weiteren Geschäftsführer nach vorheriger Anhö...