Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der bestandskräftigen Inanspruchnahme des Veräußerungsfreibetrags bei weiterem Veräußerungsgewinn möglich
Leitsatz (redaktionell)
Fällt ein weiterer Veräußerungsgewinn aus einem weiteren Gewerbebetrieb nach Bestandskraft des Steuerbescheids an, der bereits einen Veräußerungsgewinn für den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG berücksichtigt hat, so kann dieser gem. § 177 Abs. 3 AO auch noch berücksichtigt und durch den noch nicht ausgeschöpften Veräußerungsfreibetrag freigestellt werden.
Normenkette
AO §§ 173, 177 Abs. 3; EStG § 16 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin, die im Streitjahr 2007 mehrere Veräußerungsgewinne erzielt hat, den Antrag auf Gewährung des Freibetrags gem. § 16 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides noch ändern kann.
Die 82jährige Klägerin erzielte unter anderem Einkünfte gem. § 15 EStG aus einem von ihr betriebenen sog. Bauerncafe. Diesen Gewerbebetrieb meldete die Klägerin zum 31.12.2007 ab und erklärte im Rahmen ihrer ESt-Erklärung 2007, die am 20.05.2008 beim Beklagten einging, einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 3.705 EUR, für den in dem ESt-Bescheid 2007 vom 20.06.2008 antragsgemäß der Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG gewährt wurde. In der Anlage GSE zur ESt-Erklärung 2007 hatte die Klägerin neben den Einkünften aus dem Bauerncafe eine Beteiligung als Mitunternehmerin an der Firma Q-Energiesysteme aufgeführt, für die sie jedoch keine Einkünfte erklärte. Mit Bescheid vom 06.08.2009 hob der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) auf, nachdem eine zwischenzeitlich wegen der Aufgabe des Bauerncafes durchgeführte Betriebsprüfung (BP) zu keiner Änderung der bisherigen Besteuerungsgrundlagen geführt hatte.
Unter dem 24.08.2010 erhielt der Beklagte eine Mitteilung des Finanzamts B-Stadt, das für die Klägerin aus deren Beteiligung an der Firma F-GmbH & Co. KG (ehemals Q-Energiesysteme GmbH & Co.KG) für 2007 einen Veräußerungsgewinn von 22.975,13 EUR festgestellt hatte, wobei die Klägerin am 01.01.2007 aus der KG ausgeschieden war. Aufgrund dieser Mitteilung des Finanzamtes B-Stadt führte der Beklagte eine auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) gestützte Punktberichtigung der EStVeranlagung 2007 durch. Der Änderungsbescheid vom 07.09.2010 weist nunmehr Einkünfte gem. § 15 EStG aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 26.680 EUR aus, von denen (nur) 3.705 EUR steuerfrei blieben.
Mit ihrem fristgerecht erhobenen Einspruch gegen den Änderungsbescheid beantragte die Klägerin, den Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG nunmehr im Hinblick auf den höheren Veräußerungsgewinn aus der KG-Beteiligung zu berücksichtigen, was vom Beklagten abgelehnt wurde. Die Klägerin, so der Beklagte, sei an die einmal getroffene Wahl gebunden, weil der ESt-Bescheid 2007 bestandskräftig geworden und der VdN aufgehoben worden sei. Der Freibetrag sei auch voll verbraucht worden, obwohl der (aus der Aufgabe des Bauerncafes herrührende) Veräußerungsgewinn lediglich 3.705 EUR betragen habe. Eine Antragsrücknahme habe spätestens bis zur Bestandskraft der VdN-Aufhebung erfolgen bzw. die Klägerin habe dafür Sorge tragen müssen, dass der EStBescheid 2007 materiellrechtlich offen gehalten werde. Eine Inanspruchnahme des Freibetrages gem. § 16 Abs. 4 EStG für den Veräußerungsgewinn aus der KG-Beteiligung sei der Klägerin mithin verwehrt.
Die Klägerin führte demgegenüber im Einspruchsverfahren aus, dass die Möglichkeit, den Freibetrag zu beantragen, den Antrag zu ändern oder zu widerrufen auch noch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit gegeben sei. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Bescheide auch nach Eintritt der Bestandskraft nach Maßgabe der Vorgaben der AO geändert werden könnten. Vorliegend lägen die Voraussetzungen einer Änderung wegen neuer Tatsachen gem. § 173 AO vor. Von der Tatsache, dass durch ihr Ausscheiden aus der KG ein Veräußerungsgewinn erzielt worden sei, habe sie, die Klägerin, erst durch den Erlass des Änderungsbescheides zur ESt 2007 Kenntnis erlangt. Bei Erlass des Ursprungsbescheides sei das Ereignis der Realisierung eines Veräußerungsgewinns nicht bekannt gewesen. Ihr hätten seinerzeit dazu weder irgendwelche Anhaltspunkte noch Unterlagen oder sonstige Informationen vorgelegen. Dieser Vorgang sei ein nachträglich bekannt gewordener Sachverhalt, der für die Entscheidung über das Ob und Wie der Geltendmachung des Freibetrages nach § 16 Abs. 4 EStG relevant sei. Diese Auffassung werde auch gestützt durch das Urteil des FG Münster vom 09.08.1984 II 4657/80 E, EFG 1985, 55. Nach Ansicht des Gerichts sähen weder die Regelungen im EStG noch der Wortlaut des § 173 Abs. 1 AO noch die erkennbare Absicht des Gesetzgebers eine unterschiedliche Behandlung des Steuerpflichtigen bei antragsbedürftigen steuermindernden Tatsachen und solchen ohne Antragsbedürfnis vor. Die Ansicht, dass bei fristungebundenen Anträgen eine Änderung nach Bestandskraft nicht mehr mögli...