Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass einer Kindergeldrückforderung
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn der Inkasso-Service der Agentur für Arbeit den Ausgangsbescheid erlassen hat, ist die Familienkasse, die den Einspruchsbescheid erlassen hat, abweichend von dem Grundsatz, dass die Klage gegen die Behörde zu richten ist, die den ursprünglichen Bescheid erlassen hat, die richtige Beklagte.
2. Zwar ist der Inkasso-Service sachlich unzuständig für die Entscheidung über Erlassanträge. Wenn jedoch die Behörde, die den Ausgangsbescheid erlassen hat, bereits anfänglich nicht zuständig war, ist die Klage gegen die Behörde zu richten, die den Einspruchsbescheid erlassen hat.
3. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit wird dadurch geheilt, dass die Familienkasse als sachlich und örtlich zuständige Behörde im Rahmen des Einspruchsverfahrens die Sache in vollem Umfang überprüft.
4. Es stellt bereits für sich gesehen keine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen dar, wenn zurückgefordertes Kindergeld auf gewährte Sozialleistungen angerechnet worden war.
5. Ein Erlass aus Billigkeitsgründen ist in Betracht zu ziehen, wenn der oder die Berechtigte seinen bzw. ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, der Rückforderungsanspruch aber durch ein überwiegendes Verschulden oder eine fehlerhafte Arbeitsweise der Behörde entstanden ist.
6. Die Ablehnung eines Erlasses der Rückforderung von Kindergeld ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Rückforderung darauf zurückzuführen ist, dass die Kindergeldberechtigte den Aufenthalt ihrer Tochter in Russland nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
Normenkette
FGO § 63 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 102; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11; AO §§ 16, 19 Abs. 1 S. 1, § 37 Abs. 1, § 90 Abs. 1, § 126 Abs. 2, §§ 127, 227, 367 Abs. 2 S. 1; EStG § 31 S. 3, § 68 Abs. 1; FGO § 44 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Erlass einer Rückforderung von Kindergeld für die Tochter N. für die Monate Oktober 2013 bis September 2014 in Höhe von 2.240,– Euro sowie von Hinterziehungszinsen in Höhe von 118,– Euro.
Die Klägerin kam im Jahr 2001 als Spätaussiedlerin nach Deutschland und beantragte im August 2001 erstmals Kindergeld für ihre drei Kinder. Im Oktober 2001 wurde der Beklagten die Änderung der Bankverbindung mitgeteilt, wobei als Absender die Klägerin benannt war. Daraufhin meldete sich im April 2002 der damals bevollmächtigte Rechtsanwalt der Klägerin, der mitteilte, dass das Schreiben nicht von der Klägerin stamme, sondern vermutlich von dem Kindsvater, der mit der Klägerin im Streit stehe.
Im Mai 2002 stellte die Klägerin erneut einen Kindergeldantrag, in dem sie u.a. erklärte, dass ihr bekannt sei, dass sie alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe. Ausweislich einer vom Frauenhaus in N-Stadt ausgestellten Bescheinigung lebte die Klägerin seit dem 15.05.2002 getrennt von ihrem Ehemann gemeinsam mit ihren drei Kindern in N-Stadt. Die Familienkasse teilte der Klägerin mit Schreiben vom 04.06.2002 mit, dass das Kindergeld an sie weitergezahlt werde und wies sie nochmals darauf hin, dass alle Veränderungen in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen sind. Das gelte insbesondere für die Veränderungen, die im Zusammenhang mit der Verlegung des Wohnsitzes, z.B. wenn eines der Kinder nicht mehr dem Haushalt angehört, eintreten (Bl. 46 der Kindergeldakte [KGA]).
Im September 2005 wandte die Klägerin sich an die Familienkasse und teilte mit, dass ihr Sohn B. seit Juli 2005, nachdem er zwischenzeitlich zu seinem Vater gezogen sei, wieder bei ihr wohne, jedoch bis voraussichtlich Juli 2008 eine Schule in Russland besuche und während der Schulzeit bei ihrer Mutter lebe. Sie fügte einen Kindergeldantrag bei, in dem sie nochmals bestätigte, dass ihr bekannt sei, alle Änderungen mitteilen zu müssen und das Merkblatt zum Kindergeld bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben (vgl. Bl. 68 KGA). Daraufhin forderte die Beklagte in mehreren Schreiben diverse Unterlagen an und bat die Klägerin darum, genaue Angaben dazu zu machen, wo der Sohn lebt, wie lange er sich voraussichtlich im Ausland aufhalten wird und wie oft und wie lange er jeweils zwischenzeitlich nach Deutschland zurückkehrt (vgl. u.a. Bl. 87 KGA). Anschließend setzte die Beklagte das Kindergeld zugunsten der Klägerin für ihren Sohn B. fest.
In den folgenden Jahren erklärte die Klägerin noch mehrfach – allerdings bezogen auf die für ihren Sohn gestellten Anträge –, dass ihr bekannt sei, dass sie alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe (siehe hierzu Bl. 109, 120, 147, 158, 167 KGA).
Für ihre am 02.10.1996 geborene Tochter N. bezog die Klägerin in den Monaten September 2013 bis Oktober 2014 Kindergeld in Höhe von insgesamt 2.608,– Euro, das sie ihren ei...