Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung; steuerfreie Leistungen aus Verkauf von Versicherungsdoppelkarten
Leitsatz (redaktionell)
1. In der vorliegenden tatsächlichen Verständigung ist die (Mindest-)Höhe der steuerpflichtigen Umsätze bindend festgelegt worden. Ebenfalls der Höhe nach wurden damit die möglicherweise steuerfreien Umsätze durch die tatsächliche Verständigung festgelegt. Anderenfalls hätte die Aufteilung zwischen steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen nicht erfolgen müssen, eine Vereinbarung über die Höhe der Gesamtumsätze hätte genügt.
2. Soweit der Stpfl. vorträgt, dass die Aufteilung zwischen steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen im angefochtenen Bescheid unzutreffend sei, da ca. 90% bzw. 70% der Umsätze auf den steuerfreien Verkauf von Versicherungsdoppelkarten entfallen seien, hat der Stpfl. diese Tatsache nicht innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist durch Vorlage geeigneter Buchführungsunterlagen nachgewiesen.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 10b, § 11; AO § 78; UStG § 4 Nr. 10a
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung, die Frage, ob die Umsatzsteuerschulden des Klägers (im Wege der Gesamtrechtsnachfolge) auf eine KG übergegangen sind sowie über die Aufteilung von erzielten Gesamtumsätzen in steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze.
Bis zum 30.09.2009 betrieb der Kläger einen KfZ-Zulassungsservice und Schilderdienst als Einzelunternehmer. Zum 01.10.2009 brachte der Kläger sein Einzelunternehmen in die N B GmbH & Co. KG ein. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Eintrittsvertrag nebst Gesellschaftsvertrag vom 22.09.2009 (Bl. 32 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.
Für das Streitjahr 2009 fanden beim Kläger eine Betriebsprüfung sowie eine Steuerfahndungsprüfung statt. Im Rahmen der abschließenden Besprechung wurde am 22.12.2011 eine tatsächliche Verständigung geschlossen, wonach für die Besteuerung steuerpflichtige Umsätze zu 19% in Höhe von 385.031,00 €, steuerfreie Umsätze in Höhe von 124.733 € und Vorsteuern in Höhe von 45.241,00 € berücksichtigt werden sollten. Ausgenommen von der Verständigung war, ob ein Teil der Umsätze nach §§ 4 Nr. 10a, b, 11 UStG steuerfrei sein sollte (Protokoll über eine Verhandlung zur Vereinfachung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens, tatsächliche Verständigung vom 22.12.2011, Bl. 8 ff. der Umsatzsteuerakte).
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verständigung vertrat das Finanzamt G im Betriebsprüfungsbericht vom 19.01.2012 die Rechtsauffassung, dass auch die Umsätze aus dem Weiterverkauf von Versicherungsdoppelkarten (brutto: 124.733,00 €, netto 104.818,00 €), die der Kläger zunächst als umsatzsteuerfrei gem. § 4 Nr. 10 UStG behandelt hatte, steuerpflichtig seien (Bericht über steuerliche Feststellungen vom 19.01.2012, Tz. 12, Bl. 1 ff. der Umsatzsteuerakte sowie Fahndungsbericht vom 19.01.2012, Bl. 25 ff. der Rechtsbehelfsakte), so dass sich steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 489.849 € (385.031 €+104.818 €) ergäben.
Das Finanzamt G setzte diese Prüfungsfeststellungen im nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 20.03.2012 (Bl. 17 der Rechtsbehelfsakte) um und berücksichtigte neben den Vorsteuern in Höhe von 45.241,00 € steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 489.849,00 € (385.031,00 € + 104.818,00 €).
In der am 12.09.2012 beim Finanzamt G abgegebenen Umsatzsteuererklärung
für 2009 (Bl. 13 ff. der Umsatzsteuerakte) erklärte der Kläger folgende Besteuerungsgrundlagen:
Steuerpflichtige Umsätze zu 19% |
427.844,00 € |
Steuerfreie Umsätze |
126.744,00 € |
Vorsteuern |
55.841,93 € |
Im Rahmen der Veranlagung ging das Finanzamt G weiterhin von der Steuerpflicht der strittigen Umsätze aus dem Weiterverkauf von Versicherungsdoppelkarten aus und erhöhte die steuerpflichtigen Umsätze zu 19% um den Nettobetrag aus den vom Kläger als steuerfrei erklärten Umsätzen, d.h. in Höhe von 106.507,00 €. Im nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 30.10.2013 ging das Finanzamt G daher von Umsätzen zu 19% in Höhe von 534.351,00 € und Vorsteuern in Höhe von 55.841,93 € aus (Bl. 19 der Rechtsbehelfsakte). Das Finanzamt G hob mit Bescheid vom 30.10.2013 zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 11.11.2013 Einspruch ein (Bl. 101 der Umsatzsteuerakte). Zur Begründung führte der Kläger aus, dass die Umsätze aus dem Verkauf der Versicherungsdoppelkarten steuerfrei seien und verwies insoweit auf das beim BFH anhängige Verfahren V R 9/13. Das Einspruchsverfahren ruhte auf Antrag des Klägers bis zur Entscheidung des BFH im Verfahren V R 9/13. Nach Abschluss des BFH-Verfahrens, in dem der BFH den Weiterverkauf von Versicherungsdoppelkarten als steuerfrei beurteilt hatte (BFH, Urt. vom 24.07.2014 – V R 9/13, BFH/NV 2014, 1783), erging am 12.06.2015 ein nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderter Umsatzsteuerbescheid, mit dem das Finanzamt G die steuerpflichtigen Umsätze zu...