Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnungsbefugnis des Finanzamts in einem Abrechnungsbescheid bei angekündigter Restschuldbefreiung gem. § 292 InsO

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Eine Aufrechnung des Finanzamts mit einem Einkommensteuererstattungsanspruch, der sich als Saldo zwischen der Jahres-Steuerschuld und den zuvor entstandenen Steuererstattungsansprüchen aufgrund von Vorauszahlungen oder Lohnsteuerabführungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergeben hat, verstößt gegen das Aufrechnungsverbot des § 96 InsO. Dabei kommt es nicht auf den steuerrechtlichen Entstehungszeitpunkt der (Erstattungs-)Forderung(en) gegen das Finanzamt als Insolvenzgläubiger an, sondern auf insolvenzrechtliche Grundsätze.

2) Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO endet nicht schon dann, wenn die Restschuldbefreiung des Schuldners angekündigt und ein Treuhänder gem. §§ 313 Abs. 1 Satz 2, 291 Abs. 2 und 292 InsO eingesetzt wird. Vielmehr endet das Aufrechnungsverbot erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gem. § 200 Abs. 1 InsO.

 

Normenkette

AO 1977 § 226 Abs. 1; BGB § 387; InsO § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Im Rahmen eines Abrechnungsbescheides ist streitig, wann bei einer angekündigten Restschuldbefreiung die Aufrechnungsbefugnis des Finanzamtes wieder einsetzt.

Frau N. (M) ist Krankenschwester und bezog im Jahre 2002 überwiegend Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Das Land NRW hatte für sie als Bürge am 09.08.1999 … DM ausgezahlt. M. schuldete diese Forderung dem Land NRW gem. § 774 BGB.

Wegen Zahlungsunfähigkeit wurde am 20.06.2002 über das Vermögen von M. ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger (Kl.) wurde mit Beschluss des Amtsgerichts C. vom 24.06.2002 zum Treuhänder von M. gem. § 313 Insolvenzordnung bestellt. Im April 2004 stimmte das Amtsgericht C. der Schlussverteilung zu. Die Durchführung des Termins wurde im schriftlichen Verfahren angeordnet. Mit Beschluss vom 14. Juli 2004 wurde M. die Restschuldbefreiung angekündigt (§ 291 Insolvenzordnung). Nach dem Beschluss sollte der bisherige Treuhänder, Rechtsanwalt Dr. U., die Aufgaben des Treuhänders nach § 291 Abs. 2 und § 292 Insolvenzordnung (InsO) wahrnehmen. Durch Beschluss vom 15.11.2004 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen von M. nach Vollzug der Schlussverteilung gem. § 200 InsO aufgehoben.

Am 13. Mai 2004 hatte M. die Einkommensteuererklärung 2002 abgegeben. Gemäß Bescheid vom 03.08.2004, der an sie persönlich gerichtet war, betrug der Erstattungsanspruch insgesamt … EUR. Gegen diesen Erstattungsanspruch rechnete der Beklagte mit Bescheid vom 27.09.2004 mit dem o.g. Anspruch aus § 774 BGB auf. Als der Kl. die Auffassung vertrat, eine Aufrechnung komme nicht in Betracht (Schriftsatz vom 02.11.2004), erteilte der Beklagte (Bekl.) am 04.11.2004 ihm gegenüber einen Abrechnungsbescheid, in dem er sinngemäß den Erstattungsanspruch von M. als durch Aufrechnung getilgt feststellte.

Mit Beschluss vom 20.12.2004 ordnete das Amtsgericht C. hinsichtlich der durch Einkommensteuererstattung für das Kalenderjahr 2002 zu vereinnahmende Beträge die Nachtragsverteilung gem. § 203 Abs. 1 InsO an.

Der Bekl. wies den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid vom 09.11.2004 mit der Entscheidung vom 04.01.2005 als unbegründet zurück. Er vertrat in der Entscheidung, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, die Auffassung, das Insolvenzverfahren habe mit Beschluss des Amtsgerichts C. vom 14.07.2004 geendet. Damit seien die Aufrechnungsbeschränkungen der §§ 94 bis 96 InsO weggefallen. Die Aufrechnung stelle auch keine Vollstreckungsmaßnahme dar, so dass das Vermögen von M. nicht gem. § 294 Abs. 1 i.V.m. § 201 Abs. 3 InsO geschützt sei.

Der Kl. begründet die nachfolgende Klage wie folgt: Die Aufrechnung des Bekl., deren Voraussetzungen dem Grunde nach gegeben seien, sei gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO teilweise ausgeschlossen. Denn der Einkommensteuererstattungsanspruch 2002 sei teilweise erst nach der Verfahrenseröffnung vom 20.06.2002 begründet worden und somit Masseforderung geworden. Soweit der Erstattungsanspruch auf Lohnsteuerabzugsbeträgen beruhe, die für M. in den Monaten Januar bis Mai 2002 abgeführt worden seien, stehe der Erstattungsanspruch dem Bekl. zu. Es sei dieser Anspruch auf … EUR zu begrenzen (Schriftsatz vom 05.10.2005).

Die Auffassung des Bekl., in der Ankündigung der Restschuldbefreiung sei die Beendigung des Insolvenzverfahrens, zu sehen führe zu einer aus dem Gesetz nicht abzuleitenden Vorverlagung der Verfahrensaufhebung. Dies sei auch nicht § 289 Abs. 2 Satz 2 InsO zu entnehmen. Die Vorschrift soll lediglich gewährleisten, dass Liquidation und Verteilung des Vermögens zu Ende geführt werden könnten.

Der Kl. beantragt – sinngemäß –,

unter Änderung des Abrechnungsbescheides vom 4 November 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2005 festzustellen, dass ihm als Treuhänder über das Vermögen der Frau I. N. ein Masseanspruch in Höhe von … EUR zusteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abz...

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