Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerblichkeit einer Arztpraxis durch Aufnahme einer neuen Gesellschafterin und Verwirkung eines Anspruchs auf Gewerbesteuerfestsetzung
Leitsatz (redaktionell)
1) Nimmt eine ärztliche Gemeinschaftspraxis eine Ärztin als weitere Gesellschafterin auf, die an einem neuem Standort eine (Neben)Betriebsstätte betreibt und dabei Behandlungsverträge mit Patienten abschließt und die Patienten selbständig behandelt und trägt die neue Gesellschafterin weder Mitunternehmerinitiative noch Mitunternehmerrisiko, erzielt die Gemeinschaftspraxis gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG insgesamt gewerbliche Einkünfte.
2) Kennt das FA die zu dieser Beurteilung führenden Umstände durch eine Betriebsprüfung und stellt das FA die Einkünfte dennoch als freiberufliche fest, ist der Anspruch auf Gewerbesteuer verwirkt und steht einer nachträglichen Änderung entgegen.
Normenkette
EStG §§ 1, 15 Abs. 3 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist die Mitunternehmerstellung der Beigeladenen und damit einhergehend die Rechtsfrage, ob die Klägerin in den Streitjahren 2008 bis 2013 Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hat. Sollte dies der Fall sein, ist darüber hinaus streitig, ob der Beklagte für die Jahre 2008 bis 2010 Gewerbesteuermessbescheide erlassen durfte oder ob ihm dies infolge Verwirkung verwehrt war.
Die Klägerin ist eine ärztliche Gemeinschaftspraxis und war im Streitzeitraum an zwei Standorten mit der Fachrichtung Augenheilkunde tätig. Die Herren Dres. E P, H T, I C, K E und Herr I Q praktizierten in S, die Beigeladene Frau Dr. E K in R.
Gemäß Eintrittsvereinbarung vom 00.01.2008 und Gesellschaftsvertrag vom 00.02.2008 ist die Beigeladene zum 00.04.2008 als weitere Gesellschafterin in die Gesellschaft eingetreten. Die Gesellschaft eröffnete zu diesem Zweck neben der Betriebsstätte in S eine (Neben-)Betriebsstätte in R, in der die Beigeladene seitdem praktiziert hat. Da die bisherigen Gesellschafter und die Beigeladene zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht beurteilen konnten, ob das im Rahmen einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis zur dauerhaften Berufsausübung unbedingt erforderliche Maß an Übereinstimmung in persönlicher und fachlicher Hinsicht gegeben war, vereinbarten sie gem. Abs. 4 der Präambel der Eintrittsvereinbarung, die ersten 36 Monate der Mitgliedschaft als Kennenlernphase zu gestalten, mit dem Ziel, sich unbürokratisch wieder zu trennen, wenn diese Phase nicht für alle Beteiligten zufriedenstellend verlaufen würde. Wegen der Einzelheiten wird auf die Eintrittsvereinbarung vom 00.01.2008 ergänzend verwiesen.
Die Vertragsparteien vereinbarten darüber hinaus gem. § 1 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags, dass die Gesellschafter ihre Tätigkeit dauernd gemeinschaftlich mit der Maßgabe ausübten, dass ein jeder Gesellschafter den Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit an seinem eigenen Vertragsarztsitz hat und an dem örtlich unterschiedlichen Vertragsarztsitz eines anderen Gesellschafters nur nach Maßgabe der berufs- und vertragsrechtlichen Bestimmungen tätig wird. Die belegärztliche Tätigkeit wird am W-Krankenhaus in E und am N-Hospital in R ausgeübt.
Gemäß § 1 Abs. 2 üben die Gesellschafter ihren Beruf jeweils unabhängig und in eigener Verantwortung nach bestem Wissen und Gewissen aus. Jedes die ärztliche Berufsausübung betreffende Weisungsrecht ist ausgeschlossen.
Alle Gesellschafter zusammen haben gem. § 4 Abs. 3 100 Stimmen. Jedem am Gesellschaftsvermögen nicht beteiligten Gesellschafter (im Streitzeitraum ausschließlich die Beigeladene) steht jeweils eine Stimme zu. Die übrigen Stimmen stehen den am Gesellschaftsvermögen beteiligten Stimmen im Verhältnis ihrer prozentualen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen zu.
Die Stimmen verteilen sich gemäß Anlage 2 des Gesellschaftsvertrags auf
1. |
Herrn Dr. H T: |
28,38033 Stimmen |
2. |
Herrn Dr. E P: |
28,38033 Stimmen |
3. |
Herrn Dr. I C: |
28,37934 Stimmen |
4. |
Herrn I Q: |
6,93 Stimmen |
5. |
Herrn Dr. K E: |
6,93 Stimmen |
6. |
Frau Dr. E K: |
1,00 Stimme |
(Beigeladene)
Am Jahresgewinn sind gemäß § 14 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags beteiligt
jeder am Gesellschaftsvermögen nicht beteiligte Gesellschafter jeweils mit einem Anteil für jeden Kalendermonat, in dem er der Gesellschaft in dem betreffenden Geschäftsjahr als Gesellschafter angehört hat,
- während der ersten zwölf Monate seiner Mitgliedschaft in der Gesellschaft in Höhe von 5.000 €
- während der zweiten zwölf Monate seiner Mitgliedschaft in der Gesellschaft in Höhe von 5.416,66 €
- beginnend mit dem 25. Monat seiner Mitgliedschaft in der Gesellschaft in Höhe von 5.833,33 €
- an dem nach Abzug der Anteile nach Ziffer 1 verbleibenden Gewinn sowie an einem Verlust die übrigen Gesellschafter im Verhältnis ihrer Anteile am Gesellschaftsvermögen nach § 10 Abs. 2.
- Die Gewinn- und Verlustanteile der Gesellschafter werden deren Kapitalkonten nach § 15 gutgeschrieben bzw. abgeschrieben. Jeder Gesellschafter hat Anspruch auf Auszahlung des positiven Saldos seines Kapitalkontos, soweit die Auszahlung der Gesellschaft nicht offenbar zum Schaden gereichen würde.
- Über die...