Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer eines Gebäudes
Leitsatz (redaktionell)
1) Der Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer eines Gebäudes als 50 Jahre kann ggf. auch durch ein Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen geführt werden.
2) Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.
Normenkette
EStG § 7 Abs. 4; EStDV § 11c; EStG § 7 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, in welcher Höhe der Kläger in den Streitzeiträumen 2012 bis 2016 Absetzungen für Abnutzung (AfA) für eine von ihm vermietete Immobilie geltend machen kann, ob die AfA-Bemessungsgrundlage ab dem Streitzeitraum 2014 um 520,50 EUR zu erhöhen ist […].
Der Kläger wurde in den Streitjahren einzeln zur Einkommensteuer veranlagt und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit […] und aus Vermietung und Verpachtung der Immobilie A-Straße 1 in X (Baujahr 1955), welche er im Jahr 2011 im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens erworben hatte. Es handelt sich um ein freistehendes Dreifamilienhaus (EG: 95 qm, OG: 85 qm und DG: 67 qm). Auf dem Grundstück befinden sich darüber hinaus ein Nebengebäude, welches früher als Schneiderei genutzt wurde und jetzt von dem Kläger selbstgenutzt wird sowie zwei Garagen. Wegen des zum damaligen Zeitpunkt anstehenden Eigentümerwechsels wurde für das Grundstück im Auftrag des Amtsgerichts S auf den 17.05.2010 vom öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Grundstücksbewertung SV, D, ein Wertgutachten erstellt. Demnach bestand das Wohnhaus im Wesentlichen noch in dem Zustand des Erbauens. Die Wohnung im EG sei 2007 umfangreich renoviert worden, die Wohnungen im OG und DG seien noch im ursprünglichen Zustand. Der Gutachter ging wegen „Modernisierung und Zustand am Stichtag” (fiktiv) von einem Baujahr 1960 aus. Die Gesamtnutzungsdauer des Wohngebäudes gab er mit 80 Jahren an, die Restnutzungsdauer mit 30 Jahren. Die Wohnungen im OG und DG entsprächen noch der Ausstattung von 1955 und nicht den Wohnansprüchen zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung. Insgesamt wären erhebliche Instandsetzungsarbeiten bis zur Kernsanierung mit Erneuerung und Ergänzung der gesamten Installation vom KG bis zum DG sowie an Fassade und dem Dach erforderlich, um eine nachhaltige Nutzung mit modernem Wohnraum zu schaffen. Der Sachverständige ermittelte einen Wert für das bebaute Grundstück in Höhe von 230.000 EUR. Hierfür führte er eine Ertragswertermittlung und eine Vergleichswertermittlung nach der auf den Stichtag der Bewertung der streitigen Immobilie geltenden Wertermittlungsverordnung vom 06.12.1988, BGBl. I 1988, 2209 (WertV) durch (S. 31 ff. des Wertgutachtens). Wegen der Einzelheiten wird auf das Wertgutachten von Herrn SV vom 12.07.2010 ergänzend Bezug genommen (Bl. 126-166 der Gerichtsakte).
Der Kläger machte in seinen Einkommensteuererklärungen u.a. bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für die Streitjahre 2012 bis 2016 eine erhöhte AfA von 3,33 % der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten statt der gesetzlich vorgesehenen 2 % geltend. Er beantragte daher AfA-Beträge in Höhe von 2.777 EUR (2012), 2.907 EUR (2013) und jeweils 2.923,34 EUR (2014-2016).
Den Erhöhungen der AfA-Bemessungsgrundlage lagen anschaffungsnahe Herstellungskosten zugrunde, von denen für das Streitjahr 2014 noch 520,50 EUR streitig sind. Die 520,50 EUR entfielen auf eine Maßnahme zur Isolierung des Dachbodens. […]
Der Beklagte berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen bei den Steuerfestsetzungen des Klägers nicht. Er erließ am 11.05.2017 Einkommensteuerbescheide für 2012 bis 2015 und am 23.08.2017 einen Einkommensteuerbescheid 2016. Bei den Einkommensteuerbescheiden 2014 und 2015 handelte es sich zunächst um Schätzungsbescheide, weil der Kläger die Steuererklärungen nicht abgegeben hatte. Nach Abgabe der Steuererklärungen für 2014 und 2015 erließ der Beklagte am 17.08.2017 für diese beiden Jahre ESt-Änderungsbescheide, wobei die o.g. streitigen Aufwendungen nicht berücksichtigt wurden.
Mit Schreiben vom 24.05.2017 legte der Kläger gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2015 und mit Schreiben vom 16.09.2017 gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 Einsprüche ein, welche er wie folgte begründete:
1. AfA vermietete Immobilie
Das Objekt A-Straße 1 in X sei Baujahr 1955. Die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer eines Mehrfamilien-Mietwohngebäudes liege bei durchschnittlich 60-85 Jahren. Bei Übernahme des Objektes habe sich jedoch herausgestellt, dass die Wohnung im 2. OG habe saniert werden müssen. Bei der Sanierung seien anschaffungsnahe Aufwendungen in Höhe von 32.279,73 EUR angefallen. Auch die bis April 2014 langfristig vermietete Wohnung im OG sei sanierungsbedürftig gewesen. Ursächlich für die von ihm durchgeführten Sanierungsmaßnahmen seien Mängel hinsichtlich des Wärmeschutzes gewesen. Hierdurch hätten sich Feuchtigkeit und Schimmel gebildet. Im April 2015 sei deshalb in der EG-Wohnung ...