Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis der Behinderung eines volljährigen Kindes
Leitsatz (redaktionell)
1) Der Nachweis einer Behinderung eines volljährigen Kindes i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG i.V. mit § 2 Abs. 1 SGB IX ist in der Regel durch einen Schwerbehindertenausweis nach dem SGB IX oder durch einen Feststellungsbescheid des Versorgungsamts zu führen.
2) Der Nachweis der Behinderung kann auch auf andere Weise erbracht werden, z.B. durch eine Bescheinigung oder ein Zeugnis des behandelnden Arztes oder durch ein ärztliches Gutachten.
3) Die seelische Behinderung eines volljährigen Kindes lässt sich indes nicht (mehr) feststellen, wenn das Kind im und vor dem Streitzeitraum lediglich an wenigen und einzelnen Tagen verschiedene Ärzte aufgesucht hat, die keine Psychotherapeuten bzw. Psychiater waren.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 1; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin ab Dezember 2012 Kindergeld zu zahlen hat und ob die Rückforderung des gezahlten Kindergeldes für den Zeitraum Dezember 2012 bis Juni 2014 rechtmäßig gewesen ist.
Die Klägerin ist die Mutter des Kindes T., geb. am xx.xx.1990. In der Zeit von November 2011 bis Juli 2012 absolvierte die Tochter der Klägerin eine Ausbildung zur Friseurin in J-Stadt, im Anschluss daran war sie ausbildungsplatzsuchend. Ab dem 01.10.2012 nahm die Tochter der Klägerin eine Ausbildung in N-Stadt (Baden-Württemberg) bei der Firma F. GmbH & Co. KG auf, die sie am 16.11.2012 aber wieder abbrach. Grund für den Abbruch der Ausbildung war die Tatsache, dass sie in N-Stadt keine von ihrem Ausbildungsgehalt bezahlbare Wohnung fand (Schreiben der Klägerin an die Familienkasse vom 28.02.2015). Im November 2013 zog die Tochter T. zu ihrem Freund nach M-Stadt (Thüringen). Dort jobbte sie als Werbeverteilerin (Springertätigkeit). Im April 2014 holten die Eltern ihre Tochter nach Hause zurück. Auf Anraten der Hausärztin wurde die Tochter der Klägerin am 10.04.2014 in die Psychiatrie (LWL-Klinik) eingewiesen. Aufgrund bestehender Krankenkassenrückstände wurde sie jedoch bereits am 15.04.2014 wieder aus der LWL-Klinik entlassen (Vorläufiger Entlassungsbericht/Bericht an den Hausarzt, Bl. 99 der Gerichtsakte).
Mit Bescheid vom 06.01.2015 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat Dezember 2012 nach § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte das gezahlte Kindergeld für den Zeitraum von Dezember 2012 bis einschließlich Juni 2014 in Höhe von 3.496,00 € zurück.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 24.01.2015 Einspruch ein. Zur Begründung trug die Klägerin vor, dass ihre Tochter T. schon seit Jahren nicht mehr zuhause lebe und das Kindergeld selbst beziehe.
Mit Schreiben vom 10.03.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld wegen des Abbruchs der Ausbildung zur Friseurin im Juli 2012 bereits seit August 2012 nicht mehr vorgelegen hätten und deshalb eine Verböserung des Aufhebungsbescheides in Betracht komme. Die Beklagte fragte vor diesem Hintergrund an, ob die Klägerin gleichwohl ihren Einspruch aufrechterhalten wolle.
Mit Bescheid vom 20.05.2015 änderte die Beklagte den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 06.01.2015 verbösernd dahingehend ab, dass sie die Kindergeldfestsetzung nunmehr bereits ab August 2012 aufhob und das überzahlte Kindergeld in Höhe von 4.232,00 € zurückforderte.
Mit Einspruchsentscheidung vom 21.05.2015 wies die Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Tochter der Klägerin habe ihre Ausbildung als Friseurin im Juli 2012 durch Aufhebungsvertrag beendet. Eine weitere Berufsausbildung für die Zeit danach bzw. ernsthafte Bemühungen um einen Ausbildungsplatz seien nicht nachgewiesen worden. Die Zahlungen seien auf das von der Klägerin angegebene Konto überwiesen worden. Dies führe nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dazu, dass die Klägerin die Zahlungen gegen sich gelten lassen müsse.
Mit der am 15.06.2015 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Tochter der Klägerin leide bereits seit dem Jahr 2008 an Depressionen und sei wegen einer seelischen Behinderung außerstande gewesen, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). Ferner reichte die Klägerin Lohn- und Gehaltsabrechnungen (F. GmbH & Co. KG) für die Monate Oktober und November 2012 ein. Der Antrag der Klägerin auf Auszahlung des Kindergeldes auf das Konto der Tochter sei als Abzweigungsantrag auszulegen, da die Beteiligten übereinstimmend gewollt hätten, dass das Kindergeld der Tochter zustehen solle. Mit Schreiben vom 10.12.2015 teilte die Prozessvertreterin der Klägerin mit, dass die Tochter der Klägerin inzwischen gesund sei und auch als Zeugin vernommen werden könne.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 06.01.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 20.05.2015 und vom 16.11.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld an die Klägerin für das Kind T. ab...