Entscheidungsstichwort (Thema)
Herbeiführung einer gemeinschaftsrechtskonformen Besteuerungssituation durch ein Freistellungs- und Erstattungsverfahren beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt, das - nach Vornahme eines Steuerabzugs - auf Erlass eines entsprechenden Freistellungsbescheides nach § 155 Abs. 1 S. 3 AO gerichtet ist
Leitsatz (amtlich)
1. Für das (nachträgliche) auf Erlass eines entsprechenden Freistellungsbescheides nach § 155 Abs. 1 S. 3 AO beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt zur Herbeiführung einer gemeinschaftsrechtskonformen Besteuerungssituation gerichtete Freistellungs- und Erstattungsverfahren ist - unter Anschluss an die Rechtsprechung des BFH im Urteil I R 25/10 - eine analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 geboten.
2. Die analog anzuwendende Regelung von § 50d Abs. 1 S. 7 und 8 EStG 2002 hat Vorrang vor den Vorschriften über die reguläre Verjährung nach §§ 169ff AO.
3. Die analoge Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG 2002 ist nicht geboten.
Normenkette
AO § 37 Abs. 2, § 155 Abs. 1 S. 3; EStG § 50d Abs. 1; RL 90/435/EWG Art. 3 Abs. 1 Buchst. a
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Erteilung eines Freistellungsbescheids gemäß § 155 Abs. 1 S. 3 AO in entsprechender Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 für die Ausschüttung vom 28.06.2002.
Die Klägerin ist eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform der „société par actions simplifiée“ (S.A.S.). Sie ist alleinige Anteilseignerin einer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft, die im Streitjahr 2002 als GmbH 1, ab März 2006 als GmbH 2 und seit Februar 2013 als GmbH firmiert (nachfolgend einheitlich als F-GmbH bezeichnet).
I.
Im Zug der Vorbereitung einer Gewinnausschüttung der Tochter- an die Muttergesellschaft beantragte die seinerzeit unter GmbH 1 firmierende Klägerin am 13.06.2002 beim Bundesamt für Finanzen (nachfolgend: BfF) - dem heutigen Bundeszentralamt für Steuern (nachfolgend: BZSt) - die Erteilung einer Bescheinigung nach § 43b i. V. m. § 50d Abs. 2 EStG 2002 über die (vollständige) Freistellung im Steuerabzugsverfahren. Das BfF erteilte am 27.06.2002 eine Bescheinigung, wonach die F-GmbH als Schuldnerin nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Frankreich berechtigt ist, den Steuerabzug für Kapitalerträge, die von 13.06.2002 bis zum 31.05.2005 zufließen, i.H.v. 5 von Hundert des Bruttoertrags vorzunehmen.
Die Klägerin erhob Einspruch gegen die Freistellungsbescheinigung und beanspruchte die volle Freistellung von der Abzugsteuer. Zwar sei die „S.A.S.“ in der Richtlinie des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (90/435/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 225, 6, berichtigt ABlEG Nr. L 266, 20) --Mutter-Tochter-Richtlinie-- und in Einklang damit auch in der Anlage 2 zu § 43b EStG 2002 als begünstigte Rechtsform nicht aufgeführt. Doch sei sie einer Aktiengesellschaft im Sinne der Richtlinie gleichzustellen. Sie berief sich dazu u.a. auf ein (nicht veröffentlichtes, an das Bayerische Staatsministerium der Finanzen gerichtetes) Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14.06.2000 IV B -0 1000- 3/00, in welchem --allerdings bezogen auf Einbringungsvorgänge nach § 23 Abs. 4 des Umwandlungssteuergesetzes-- eine derartige Gleichstellung als gerechtfertigt angesehen wurde.
II.
Die F-GmbH schüttete aufgrund Gesellschafterbeschlusses vom 28.06.2002 xx € an die Klägerin aus. Sie meldete daraufhin am 12.08.2002 Kapitalertragsteuer in Höhe von 5 v.H. – xx € - beim beklagten Finanzamt an und erhob hiergegen gleichzeitig Einspruch. Das Finanzamt gewährte am 21.08.2002 die beantragte Aussetzung der Vollziehung.
Nach erfolglosem (BFH-)Klageverfahren der Klägerin gegen das BZSt I R 25/10 wegen vollständiger Freistellung (siehe unten III.) nahm die F-GmbH den Einspruch gegen die Kapitalertragsteueranmeldung durch Erklärung vom 22.05.2012 zurück und führte am 05.06.2012 die Kapitalertragsteuer an das beklagte Finanzamt ab, nachdem dieses am 25.05.2012 die Aussetzung der Vollziehung beendet hatte.
III.
Das BfF lehnte mit Einspruchsentscheidung vom 10.07.2003 die volle Freistellung der Ausschüttung von der Abzugsteuer ab.
Die Klägerin erhob beim Finanzgericht Köln Klage (2 K 4220/03) gegen das BZSt. Während des Klageverfahrens bescheinigte das BZSt der Klägerin mit geändertem Bescheid vom 08.01.2010, dass die F-GmbH als Schuldnerin für Kapitalerträge, die in der Zeit vom 16.12.2004 bis 23.05.2005 zugeflossen seien, berechtigt sei, den Steuerabzug für die Kapitalerträge i.H.v. 0 von Hundert der Bruttoerträge vorzunehmen. Im Übrigen verblieb es bei der Ablehnung, die beantragte Bescheinigung zu erteilen.
Die Klage blieb mit ihrem entsprechend angepassten und eingeschränkten Antrag erfolglos; sie wurde mit Urteil des FG Köln vom 28.01.2010 2 K 4220/03, juris, abgewiesen. Hierbei nahm das FG auf das EuGH-Urteil vom 01.10.2009 C-247/08, Slg. 2009, I-9225, B...