Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu verbüßende Haft als Hinderungsgrund an der Aufnahme einer Ausbildung
Leitsatz (redaktionell)
Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG sind nicht erfüllt, wenn das Kind auf Grund einer zu verbüßenden Haft an der Aufnahme einer Ausbildung gehindert ist.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nrn. 1, 2c
Tatbestand
Die Klägerin ist Mutter von N K (geb. xxx .1985). N befindet sich seit 21 .05.2004 in der Justizvollzugsanstalt in O, wo er eine zweijährige Jugendstrafe absitzt. Jedenfalls seit August 2004 stand er dort in einem Beschäftigungsverhältnis, aus dem er Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bezog. Für N war ursprünglich Kindergeld bewilligt worden. Mit Bescheid vom 24.06.2004 wurde die Festsetzung ab Juni 2004 aufgehoben, weil N nicht mehr als arbeitssuchend gemeldet sei. Im November stellte die Klägerin erneut Antrag auf Kindergeld. In der Folge hob die Beklagte am 11.01.2005 die Kindergeldfestsetzung ab September 2004 auf (Rechtsbehelfsbelehrung: Einspruch); in dem Bescheid heißt es, für die Vormonate stehe noch Kindergeld zu. Der Beklagten lag eine Mitteilung der Berufsberatung vor, dass N seit 31.08.2004 nicht mehr als Bewerber um einen Ausbildungsplatz gemeldet sei. Dagegen legte die Klägerin am 10.02.2005 erfolglos Einspruch ein. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 23.03.2005 hat sie am 25.04.2005 Klage erhoben und vorgetragen:
N s zweijährige Jugendstrafe werde voraussichtlich auf gut ein Jahr verkürzt. Deshalb werde ihm in der Haft keine Ausbildung angeboten; denn eine Ausbildung erstrecke sich in der Regel auf drei Lehrjahre. Nicht die Inhaftierung hindere N daher an der Aufnahme einer Ausbildung, sondern die für eine Ausbildung nicht ausreichende Haftdauer. Da N ab Herbst 2005 eine Ausbildung als Koch beginnen werde, stehe der Klägerin jedenfalls ab diesem Zeitpunkt Kindergeld zu. Nichts anderes gelte für die Zeit davor, in der N mangels Ausbildungsplatzes seine Ausbildung nicht beginnen könne.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei unbegründet. N sei aufgrund der Inhaftierung daran gehindert, einen Ausbildungsplatz anzunehmen, falls ein solcher zur Verfügung gestellt werde. Damit sei er nicht berücksichtigungsfähig gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG. Die Bestimmung setze voraus, dass eine Berufsausbildung (lediglich) mangels Ausbildungsplatz nicht begonnen oder fortgesetzt werden könne.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 11.01 .2005 und die Einspruchsentscheidung vom 23.03.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat nach der Haftentlassung N wieder Kindergeld ab Mai 2005 festgesetzt.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichtserstatter des Senats gem. § 79a Abs. 3, 4 FGO zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Kindergeldfestsetzung wurde zu Recht aufgehoben. N ist weder nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG noch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG berücksichtigungsfähiges Kind.
Nach § 62 Abs. 1 EStG besteht unter den dort genannten Voraussetzungen Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S.d. § 63 EStG. Das sind u.a. Kinder, die im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandt sind (§§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind lediglich unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen.
Nach Nr. 1 dieser Bestimmung wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einem Arbeitsamt/einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitssuchender gemeldet ist. Nach Nr. 2c ist ein Kind berücksichtigungsfähig, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann. Zweck der Vorschrift ist die Gleichstellung von Kindern, die noch erfolglos einen Ausbildungsplatz suchen mit Kindern, die bereits einen Ausbildungsplatz gefunden haben; denn es ist typisierend davon auszugehen, dass in beiden Fällen für die Eltern die gleiche Unterhaltssituation besteht (Bundestagsdrucksache X/2884, S. 1 02f). Diese Gleichstellung ist aber nur gerechtfertigt, wenn das ausbildungswillige Kind den Ausbildungsplatz im Erfolgsfall auch einnehmen könnte. Der Unterschied zum in Ausbildung befindlichen Kind muss allein im Mangel der Verfügbarkeit eines Ausbildungsplatzes liegen. Beginn oder Fortsetzung der Ausbildung dürfen nicht an anderen Umständen scheitern (vgl. BFH-Urteil vom 15.07.2003 VIII R 79/99, BStBl. II 2003, 843 m.w.N.).
Im Streitfall ist die Voraussetzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht er-füllt, weil das Kind unstrittig seit Juni 2004 nicht bei einem Arbeitsamt/einer Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender gemeldet war. Die Voraussetzungen des Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c sind nicht gegeben, weil der Aufnahme einer Ausbildung die zu verbüßende Haft entgegenstand. Dass N während seiner Inhaftierung keine Ausbildung aufnehmen konnte, lag nicht (nur) an einem Mangel eines Ausbildungsplatz...