Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung endgültiger bestandskräftiger Steuerfestsetzungen aufgrund neuer Tatsachen
Leitsatz (redaktionell)
Ob eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache zu einer Veränderung der Steuerfestsetzung führt, hängt davon ab, von welchen Tatsachen bisher bei der Besteuerung ausgegangen worden ist. Dabei ergeben sich Besonderheiten, wenn die Steuerfestsetzung auf der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen beruht und wenn insbesondere ein Gewinn geschätzt wurde.
Ein Steuerbescheid kann nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgehoben oder geändert werden, wenn nachträglich neue Besteuerungsgrundlagen bekannt werden und nach Gesamtwürdigung der Umstände, d. h. aus dem gemeinsamen Ergebnis von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, festgestellt wird, dass höhere Einkünfte einer bestimmten Einkunftsart, als bisher geschätzt, vorliegen.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob eine endgültige bestandskräftige Steuerfestsetzung, in der die Besteuerungsgrundlagen geschätzt wurden, wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden kann, wenn sich aufgrund nachträglich bekannt gewordener Einnahmen unter Ansatz von geschätzten Betriebsausgaben höhere gewerbliche Einkünfte ergeben als bisher geschätzt.
Der Antragsteller erzielte in den Streitjahren als Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Da er zuletzt für den Veranlagungszeitraum 1997 Steuererklärungen eingereicht hatte, schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1998 bis 2001 und setzte mit Bescheid vom 05.05.2000 die Einkommensteuer 1998 auf 0 DM, mit Bescheid vom 28.05.2001 die Einkommensteuer 1999 auf 5.199 DM, mit Bescheid vom 22.08.2002 die Einkommensteuer 2000 auf 5.694,77 € (entspricht 11.138 DM) und mit Bescheid vom 28.01.2004 die Einkommensteuer 2001 auf 4.869,54 € (entspricht 9.524 DM) jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) fest. In den Bescheiderläuterungen wurde jeweils darauf hingewiesen, dass die Schätzung nicht von der Erklärungspflicht befreie und dass trotz Schätzung eine Steuerstraftat vorliegen könne.
Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wurden dabei in den Jahren 1998 und 1999 mit jeweils 40.000 DM und in den Jahren 2000 und 2001 mit jeweils 60.000 DM berücksichtigt.
Der Einkommensteuerbescheid 1999 wurde am 22.08.2002 nach § 164 Abs. 2 AO geändert, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 50.000 DM erhöht und die Einkommensteuer auf 4.227,36 € (entspricht 8.268 DM) festgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit Bescheiden vom 16.10.2003 für 1998 und 1999, vom 28.01.2004 für 2000 und vom 25.05.2005 für 2001 aufgehoben, § 164 Abs. 3 AO.
Mit Schreiben der Bußgeld- und Strafsachenstelle vom 19.07.2005 wurde der zuständigen Veranlagungsstelle beim beklagten Finanzamt bekannt, in welcher Höhe der Kläger in den Streitjahren tatsächlich Provisionseinnahmen erzielt hatte. Gegen den Kläger war am 12.10.2004 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden, da er nach einer am 07.07.2004 eingegangenen Kontrollmitteilung von der X- AG für seine Tätigkeit als selbständiger Versicherungsvertreter im Jahr 1999 Vergütungen i.H.v. 321.184,81 DM erhalten hatte. Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens ist dem Kläger mit Schreiben vom 18.10.2004 (zugestellt laut PZU am 26.10.2004) bekannt gegeben worden. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle ermittelte aufgrund der Auskünfte der Versicherung vom November 2004 für die Streitjahre Provisionen in Höhe von 206.037 DM (1998), 321.185 DM (1999), 128.964 DM (2000) und 159.435 DM (2001). Über die erhaltenen Provisionen hatte der Kläger jeweils von der Versicherung nach Abschluss eines Kalenderjahres im nachfolgenden Jahr eine Bescheinigung erhalten.
Weiterhin erhielt der Kläger nach den Ermittlungen der Bußgeld- und Strafsachenstelle im Jahr 1999 Sachzuwendungen im Wert von 16.589,22 DM und im Jahr 2001 Sachzuwendungen im Wert von 8.266,77 DM.
Mit Schreiben vom 17.10.2005 teilte das Finanzamt die Ermittlungsergebnisse dem Klägervertreter mit und forderte zur Abgabe von Steuererklärungen für die Jahre 1998 bis 2001 auf. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichtabgabe von Steuererklärungen in Änderungsbescheiden die gewerblichen Gewinne des Klägers in Höhe von 75 % der ermittelten Provisionseinnahmen angesetzt werden würden.
In diesem Zusammenhang teilte der Klägervertreter mit (Schreiben vom 24.10.2005), dass die endgültigen Steuerfestsetzungen nicht aufgrund neuer Tatsachen geändert werden könnten, weil das Finanzamt den zuvor ergangenen Bescheiden Reingewinnschätzungen zugrunde gelegt habe. Neue Tatsachen, die den geschätzten Gewinn beträfen, lägen allein aufgrund der nunmehr festgestellten Provisionseinnahmen nicht vor. Der Kläger arbeite in einem Strukturgewerbe und habe entsprechende Unterprovisionen an „Zuträger“ – Vermittler zu zahlen.
Eine Zerlegung der Tatsache (bisher angesetz...