Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerrufs der Anordnung des Ruhens des Verfahrens durch die Einspruchsentscheidungen 1986 und 1987 vom 19.02.1993 bzw. Ablehnung des Antrags auf Ruhen der Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerbescheide 1986 und 1987
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 19.06.1997; Aktenzeichen X R 146/95) |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Beschluß
Der Streitwert wird auf 8.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt zu Recht die Anordnung, die Einspruchsverfahren der Kläger in Sachen Einkommensteuer 1986 und 1987 ruhen zu lassen, widerrufen hat (§§ 363 Abs. 2, 131 AO 1977).
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger bezog in den Streitjahren als angestellter Bauingenieur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; die Klägerin war als Hausfrau tätig. Die Kläger haben zwei Kinder (…, geb. 25.06.1984; …, geb. 20.04.1986). Mit Einkommensteuerbescheid vom 13.08.1987 setzte das Finanzamt … die Einkommensteuer 1986 auf 8.352 DM, die Einkommensteuer 1987 mit Bescheid vom 04.10.1988 auf 12.836 DM fest.
Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein mit der Begründung, gegen verschiedene Besteuerungsgrundlagen beständen verfassungsrechtliche Bedenken. Gleichzeitig beantragten sie, die Einspruchsverfahren deswegen ruhen zu lassen (§ 363 Abs. 2 AO 1977). Das Finanzamt entsprach diesen Anträgen mit Verfügungen vom 01.03. bzw. 03.05.1989.
Das (zwischenzeitlich zuständige) beklagte Finanzamt erließ am 19.02.1993 nach §§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a, 165 Abs. 1 AO 1977 teilweise geänderte Einkommensteuerbescheide für 1986 und 1987 mit eingearbeiteter Einspruchsentscheidung (Bl. 24/ESt-Akte 1986; Bl. 23/ESt-Akte 1987). Die Einkommensteuerbescheide – in der Fassung der Einspruchsentscheidungen – wurden in den verfassungsrechtlich umstrittenen Punkten (u. a. Kinderfreibetrag, zumutbare Eigenbelastung, beschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen, Nichtabziehbarkeit von Schuldzinsen, Grundfreibetrag) für vorläufig erklärt (§ 165 Abs. 1 AO 1977).
Nach Ergehen der Einspruchsentscheidungen beantragte der steuerliche Vertreter zunächst telefonisch, die Steuerbescheide mit eingearbeiteter Einspruchsentscheidung aufzuheben und das Verfahren erneut ruhen zu lassen. Am 03.03.1993 wurde ihm ebenfalls telefonisch mitgeteilt, daß dies nicht möglich sei.
Mit Schreiben vom 12.03.1993 legte der steuerliche Vertreter der Kläger gegen den „Widerruf des Ruhens des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 AO” (bzw. gegen die Ablehnung des Antrags auf Ruhen der Einspruchsverfahren gemäß § 363 AO 1977) Beschwerde ein. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg; die Oberfinanzdirektion – OFD – Nürnberg wies mit Entscheidung vom 22.06.1994 das Begehren der Kläger, die Einspruchsentscheidungen aufzuheben und das Ruhen des Verfahrens erneut anzuordnen, als unbegründet zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeentscheidung Bezug genommen.
Die Kläger haben Klage erhoben und im wesentlichen ausgeführt:
- Umstritten sei, ob das Finanzamt die Einspruchsverfahren in Sachen Einkommensteuer 1986 und 1987 habe weiter ruhen lassen müssen, weil die Einsprüche gerade wegen verfassungsrechtlicher Zweifel an verschiedenen Besteuerungsgrundlagen eingelegt worden seien. Das Finanzamt habe dies verkannt und sein Ermessen hinsichtlich der Fortführung der Rechtsbehelfsverfahren nicht zutreffend ausgeübt. Dem Finanzamt habe sich das Ruhenlassen der Einspruchsverfahren aufdrängen müssen, weil bezüglich verschiedener Besteuerungsgrundlagen Musterprozesse vor dem Bundesverfassungsgericht – BVerfG – anhängig seien.
Darüber hinaus habe das Finanzamt erst im „nachhinein” – d. h. im Einspruchsverfahren – die Vorläufigkeitsvermerke nach § 165 Abs. 1 AO in die Einkommensteuerbescheide 1986 und 1987 aufgenommen. Durch die Vorläufigkeitsvermerke seien die Rechte der Kläger nicht hinreichend gesichert. So würde bei der vorläufigen Steuerfestsetzung den Klägern die Kontrolle darüber aufgebürdet, ob der Grund für die Vorläufigkeit entfallen sei. Die Finanzverwaltung müsse innerhalb eines Jahres nach Wegfall des Vorläufigkeitsgrundes einen geänderten Bescheid erlassen, worauf bei der Vielzahl der Fälle nicht vertraut werden könne.
Auch zu dieser Streitfrage gebe es bereits einen Musterprozeß vor dem Bundesfinanzhof (hier: Az. X R 87/94). Der III. Senat des BFH habe entschieden, daß in derartigen Streitfällen die Verfahren auszusetzen bzw. das Ruhen des Verfahrens anzuordnen sei (BFH, BStBl. II 1993, 123). Die Rechtsauffassung des X. Senats, wonach eine Aussetzung oder ein Ruhen des Verfahrens nicht in Betracht komme, wenn die angefochtenen Steuerbescheide hinsichtlich der verfassungsrechtlich umstrittenen Punkte bereits vor Klageerhebung für vorläufig erklärt worden seien (BFH, BStBl. II 1994, 119), sei unrichtig. Sie beschränke die Steuerpflichtigen in unzulässiger Weise in ihren Rechten.
- Das abrupte Abbrechen des Ruhens der Rechtsbehelfsverf...