Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch: Wegfall der Arbeitsuchendmeldung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG
Leitsatz (amtlich)
1. Der Wegfall der Wirkung einer Meldung als Arbeitsuchender i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG setzt nicht die wirksame Bekanntgabe einer Einstellungsverfügung voraus.
2. Fehlt es an einer wirksam bekanntgegebenen Einstellungsverfügung, hängt der Fortbestand der Meldung als Arbeitsuchender davon ab, ob das arbeitsuchende Kind eine Pflichtverletzung begangen hat, welche die Arbeitsagentur zur Einstellung der Vermittlung berechtigt.
3. Die Verletzung der vom Arbeitsuchenden zu beachtenden allgemeinen Meldepflicht berechtigt nicht ohne Weiteres zur Einstellung der Vermittlung.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1; SGB III § 38 Abs. 2-3, § 309
Tatbestand
Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Januar 2017 bis April 2019.
Der Kläger bezog aufgrund einer Festsetzung vom 25.04.2016 (Bl. 216 Kindergeldakte - KGA) im Streitzeitraum Kindergeld für das am ...06.1996 geborene Kind A als Kind in Berufsausbildung.
Die Tochter des Klägers hatte zum 01.05.2016 eine Ausbildung zur Altenpflegerin aufgenommen, die bis zum 30.04.2019 dauern sollte (Bl. 207, 208 KGA). Das Ausbildungsverhältnis wurde jedoch bereits am 03.11.2016 durch eigene Kündigung des Kindes wegen einer problematischen Schwangerschaft beendet (Bl. 378 KGA). Die Beklagte wurde über den Abbruch der Berufsausbildung nicht in Kenntnis gesetzt.
Am 04.11.2016 meldete sich die Tochter des Klägers bei der Agentur für Arbeit L arbeitsuchend (Bl. 379 KGA). Zum 29.12.2016 meldete die Agentur für Arbeit das Kind aus der Arbeitsvermittlung ab (Bl. 340 KGA, Bl. 79 Gerichtsakte), weil es ohne Angabe von Gründen nicht zu einem Termin erschienen und daher nicht verfügbar gewesen sei (Bl. 98 Gerichtsakte). Die Einstellung der Arbeitsvermittlung wurde der Tochter des Klägers, die zu diesem Zeitpunkt keine Leistungen von der Arbeitsagentur erhielt, nicht bekanntgegeben.
Im Zeitraum Januar 2017 bis März 2017 musste sich die Tochter des Klägers vom 30.01.2017 bis 01.02.2017 (Bl. 393 KGA) sowie vom 08.03.2017 bis 17.03.2017 (Bl. 394 KGA) wegen Komplikationen in der Schwangerschaft sowie wegen des Verdachts auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung in stationäre Behandlung begeben.
Am 23.04.2017 brachte die Tochter des Klägers per Kaiserschnitt einen Sohn zur Welt (Bl. 396 KGA), wobei es sich im Hinblick auf den vorgesehenen Entbindungstermin im Juni 2017 um eine Frühgeburt handelte. Im Zusammenhang mit der Entbindung wurde bei der Tochter des Klägers zudem ein künstlicher Darmausgang gelegt (stationärer Aufenthalt vom 19.04.2017 bis 29.04.2017, Bl. 395 KGA). In der Folgezeit befand sich die Tochter des Klägers wegen auftretender Komplikationen im Zusammenhang mit dem künstlichen Darmausgang vom 24.05.2017 bis 03.06.2017 (Bl. 397 KGA) sowie vom 03.08.2017 bis 04.08.2017 (Bl. 398 KGA) erneut in stationärer Behandlung. Mittlerweile konnte eine Rückverlegung des Darmausgangs erfolgen. Nach einem ärztlichen Attest des behandelnden Facharztes für Innere Medizin Dr. U vom 06.07.2020 (Bl. 399 KGA) befinde sich die Tochter des Klägers seit 2017 wegen "Colitis indeterminata" - einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung - in regelmäßiger ambulanter Behandlung. Es erfolge eine medikamentöse Therapie, die mehrfach habe überwacht und modifiziert werden müssen. Dazu seien regelmäßige Besuche in der Sprechstunde sowie verschiedene stationäre Aufenthalte nötig gewesen.
Bei der Agentur für Arbeit war die Tochter des Klägers wie folgt registriert:
01.05.2016-03.11.2016 |
Ausbildung Altenpflegerin |
04.11.2016-01.02.2017 |
Arbeitslosigkeit |
29.12.2016-01.02.2017 |
Zeit ohne Nachweis |
02.02.2017-12.02.2017 |
Arbeitsunfähigkeit |
13.02.2017-14.05.2017 |
Zeit ohne Nachweis |
11.03.2017-22.04.2020 |
Elternzeit |
23.04.2017-22.04.2020 |
§ 10 SGB II Alleinerziehend mit Kind unter 3 Jahren |
Mit Bescheid vom 11.04.2019 (Bl. 281 KGA) hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld ab dem Monat Mai 2019 unter Hinweis auf die nach Aktenlage bevorstehende Beendigung der Berufsausbildung auf. In den Erläuterungen zum Bescheid wurde der Kläger aufgefordert, innerhalb von vier Wochen das Ende der Berufsausbildung seiner Tochter nachzuweisen. Andernfalls müsse die Bewilligung des Kindergelds rückwirkend ab dem Monat aufgehoben werden, der dem Monat folge, für den zuletzt die Anspruchsvoraussetzungen nachgewiesen worden seien.
Am 15.01.2020 ging bei der Beklagten ein auf den 16.10.2019 datierter, vom Kläger und seiner Tochter unterzeichneter Antrag auf Kindergeld ein (Bl. 312 KGA). Beigefügt war das Formular "Anlage Kind zum Kindergeldantrag", wonach das Kind ab 04.11.2016 ohne Beschäftigung und bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet sei (Bl. 316 KGA). Daneben wurde das Formular "Erklärung für ein volljähriges Kind ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz" eingereicht (Bl. 314 KGA). Danach habe die Tochter des Klägers von 04.11.2016 bis 09/2020 einen Ausbildungsplatz für eine be...