Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Verpflichtung einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft, trotz ruhenden Geschäftsbetriebs und fehlender Einkünfte weiterhin Steuererklärungen abzugeben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft bleibt nach § 149 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. den einschlägigen Einzelsteuergesetzen auch dann zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet, wenn ihr Geschäftsbetrieb ruht und sie keine Einkünfte mehr erzielt.

2. Eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO ist nur dann ermessensfehlerhaft, wenn dem Finanzamt Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass eine Steuerpflicht klar und einwandfrei nicht gegeben ist.

 

Normenkette

AO § 149 Abs. 1, §§ 328, 332; KStG § 31 Abs. 1 S. 1; UStG § 18 Abs. 3 S. 1; GewStG § 14a S. 1; GewStDV § 25 Abs. 1; EStG § 25 Abs. 3, § 16 Abs. 3b S. 1; EStDV § 60 Abs. 1 S. 1; FGO § 102

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 19.08.2021; Aktenzeichen VII R 35/20)

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen.

Die Klägerin ist eine im Jahr 2003 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Gegenstand ihres Unternehmens ist lt. Gesellschaftsvertrag vom 20. Februar 2003 die kaufmännische Beratung von Freiberuflern, Selbstständigen und mittelständischen Unternehmen aller Art einschließlich betriebswirtschaftlicher und Finanzierungsfragen. Seit dem 14. März 2006 ist die Ehefrau des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Frau A, alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin.

Der Geschäftsbetrieb der Klägerin wurde (mindestens) bis Dezember 2011 aktiv betrieben. Für den Veranlagungszeitraum 2011 ergingen letztmalig Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide; zum 31. Dezember 2011 wurde ein verbleibender Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer in Höhe von 67.411 € festgestellt. Für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2016 reichte die Klägerin keine Steuererklärungen mehr ein. Mit Schreiben vom 27. Februar 2012 teilte sie dem Beklagten mit, dass sie ihren Geschäftsbetrieb zum 31. Dezember 2011, 24 Uhr, "endgültig eingestellt" habe und "nur noch als GmbH-Mantel ohne Geschäftstätigkeit vorgehalten" werde; alle Bankkonten seien zum 31. Dezember 2011 "erloschen" (Bl. 23 d. PA). Der Beklagte erinnerte die Klägerin für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2015 zwar jeweils an die Abgabe der ausstehenden Steuererklärungen; auf die zwangsweise Durchsetzung der Abgabeverpflichtung verzichtete er jedoch.

Unter dem 8. Februar 2019 übersandte der Beklagte der Klägerin eine Erinnerung an die Abgabe der Körperschaftsteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung für 2017; diese war an die "W GmbH c/o Kanzlei A, z. Hd. Herrn A" adressiert. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte daraufhin mit Schreiben vom 12. Februar 2019 mit, es habe sich an der fehlenden Aktivität der Klägerin seit seinem Schreiben vom 27. Februar 2012 nichts geändert; die GmbH ruhe nach wie vor. Der Beklagte erhalte unaufgefordert Nachricht, sofern sich daran in den nächsten Jahren etwas ändern sollte (Bl. 2 d. KSt-Akten).

Auf einen Hinweis des Beklagten, dass sie gemäß § 149 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 31 Körperschaftsteuergesetz (KStG), § 18 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) und § 14a Gewerbesteuergesetz (GewStG) unabhängig davon, ob tatsächlich ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb stattfinde, verpflichtet sei, eine Körperschaftsteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung für 2017 abzugeben und gegebenenfalls Nullmeldungen einzureichen, trug die Klägerin mit Schreiben vom 13. März 2019 u.a. weiter vor, sie habe letztmals im Geschäftsjahr 2011 am Wirtschaftsleben teilgenommen und danach bis heute geruht. Soweit sie dies mit Schreiben vom 27. Februar 2012 und vom 12. Februar 2019 mitgeteilt habe, seien hierin gleichzeitig "Nullmeldungen" zu sehen. § 149 AO verleihe der Finanzbehörde zudem kein "Steuererklärungs-Erfindungsrecht" für eine seit Jahren ruhende Kapitalgesellschaft. Es müssten Anhaltspunkte für eine steuerpflichtige Tätigkeit der ruhenden GmbH im Streitjahr vorhanden sein, die es indes nicht gebe. Weil sie seit dem 31. Dezember 2011 nicht mehr am Wirtschaftsleben teilnehme, also nur noch als "Firmenmantel" existiere, sei die Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen grob ermessensfehlerhaft. Sie besitze im Übrigen weder Aktiva noch ein Geschäftslokal und unterhalte auch kein Bank- bzw. Girokonto (Bl. 17 f. d. KSt-Akten).

Mit Schreiben vom 2. April 2019 forderte der Beklagte die Klägerin erneut - nunmehr an A adressiert - unter Bezugnahme auf § 149 Abs. 1 AO i.V.m. § 60 EStDV zur Abgabe der Körperschaftsteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung sowie der Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung für 2017 bis zum 29. April 2019 auf. Außerdem wies er darauf hin, dass nach ergebnislosem Ablauf dieser Frist die Abgabe auch ohne weitere Ankündigung durch Auferlegung eines Zwangsgeldes gemäß § 328 AO erzwungen werden könne. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sc...

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