Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltendmachung der Bauabzugsteuer durch Nachforderungsbescheid nach Erlass eines Haftungsbescheids
Leitsatz (amtlich)
Die Bauabzugsteuer i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG kann gegenüber dem Leistungsempfänger nicht mehr im Wege eines Nachforderungsbescheides i.S.d. § 167 Abs. 1 Satz 1 AO geltend gemacht werden, wenn zuvor ein Haftungsbescheid erlassen wurde. Dies gilt auch, wenn der Haftungsbescheid unter Berufung auf § 130 Abs. 1 AO mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wurde.
Normenkette
AO § 130 Abs. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, § 191 Abs. 1 S. 1; EStG § 48 Abs. 1, § 48a Abs. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob der Beklagte berechtigt war, gegenüber der Klägerin, einer GmbH, sog. Bauabzugsteuer i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) festzusetzen.
In dem Streitzeitraum (Dezember 2012 bis März 2013 und Mai 2013 bis April 2014) stellte die G, eine Kapitalgesellschaft bulgarischen Rechts mit Satzungssitz in Bulgarien, deren Unternehmensgegenstand u.a. der "Bau sonstiger Einrichtungen" war, der Klägerin folgende Beträge in Rechnung:
Dezember 2012 |
12.667,56 € |
|
Januar 2013 |
8.167,67 € |
Februar 2013 |
7.120,88 € |
März 2013 |
13.319,65 € |
Mai 2013 |
18.361,22 € |
Juni 2013 |
24.674,13 € |
Juli 2013 |
28.753,30 € |
August 2013 |
20.701,12 € |
September 2013 |
48.946,51 € |
Oktober 2013 |
55.166,22 € |
November 2013 |
39.977,18 € |
Dezember 2013 |
37.629,89 € |
Januar 2014 |
38.985,55 € |
Februar 2014 |
26.598,53 € |
März 2014 |
32.857,46 € |
April 2014 |
18.694,08 € |
Wegen der Einzelheiten wird auf die an die Klägerin gerichteten Rechnungen der G (Blatt 35 ff. der Verwaltungsakte Bd. I) Bezug genommen. Die in Rechnung gestellten Beträge wurden jeweils im Monat der Rechnungsstellung von der Klägerin beglichen. Eine Freistellungsbescheinigung i.S. des § 48b Abs. 1 Satz 1 EStG lag der Klägerin zum Zeitpunkt der jeweiligen Zahlungen nicht vor.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 übersandte das Finanzamt I dem Beklagten eine Kontrollmitteilung vom 27. Mai 2014 (Blatt 3 ff. der Verwaltungsakte). Danach habe u.a. die G aus Bulgarien eine Bauleistung an die Klägerin erbracht. Eine Freistellungsbescheinigung sei der Klägerin nicht vorgelegt worden. Die Gegenleistung betrage 324.037 €.
Zudem lag der Kontrollmitteilung ein an das Finanzamt I gerichtetes Schreiben der Klägerin vom 27. Mai 2014 bei, in dem die Klägerin ausführte, die Bauabzugsteuer sei deshalb nicht einbehalten worden, weil es sich um Steuerausländer handele, die regelmäßig ins Ausland zurückkehrten und im Inland keine Betriebsstätte unterhielten. Die Subunternehmer hätten telefonisch bestätigt, die Einkünfte ordnungsgemäß versteuert zu haben. Auch im Rahmen der internationalen Amtshilfe sollte sicherzustellen sein, dass letztlich die Einkünfte versteuert würden. Es sei jedenfalls kein fiskalischer Schaden entstanden.
Mit Schreiben vom 23. März 2015 (Blatt 26 ff. der Verwaltungsakte) übersandten die Bevollmächtigten der Klägerin Anmeldungen über den Steuerabzug bei Bauleistungen für den Streitzeitraum und führten aus, die amtlichen Vordrucke seien aus Vereinfachungsgründen verwendet worden, jedoch nicht in Anerkennung einer entsprechenden Steuerschuld. Die Inanspruchnahme der Klägerin könne nur im Wege eines Haftungsbescheides erfolgen. Die Voraussetzungen hierfür lägen jedoch nicht vor. Es sei dem Geschäftsführer der Klägerin unbekannt gewesen, dass auch für ausländische Firmen eine Freistellungsbescheinigung vorliegen müsse. Der Leistungsempfänger könne für die Bauabzugsteuer nicht in Anspruch genommen werden, wenn der Leistende - wie im Streitfall - nicht in Deutschland steuerpflichtig sei.
Die Anmeldungen waren jeweils handschriftlich auf den 12. März 2015 datiert und mit dem Firmenstempel der Klägerin, nicht aber mit einer Unterschrift versehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anmeldungen über den Steuerabzug bei Bauleistungen vom 12. März 2015 (Blatt 32 ff. der Verwaltungsakte Bd. I) Bezug genommen.
Mit Datum vom 26. Mai 2015 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin einen Haftungsbescheid. Die Klägerin habe im Zeitpunkt der Erfüllung der Gegenleistung den gesetzlichen Steuerabzug nicht einbehalten. Gründe, aufgrund derer vom Steuerabzug abzusehen gewesen sei, seien nicht gegeben. Es seien folgende Ansprüche nicht erfüllt worden:
2012 |
1.900,14 € |
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2013 |
45.413,75 € |
2014 |
17.570,34 € |
Summe |
64.884,23 € |
Für diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis habe die Klägerin den Haftungstatbestand nach § 48a Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt, weil sie ihrer Verpflichtung zum Einbehalt sowie zur Abführung der Steuerabzugsbeträge nach § 48 Abs. 1 EStG nicht nachgekommen sei. Für den nicht vorgenommenen Steuerabzug, für den die Klägerin nach § 48 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 EStG einzustehen habe, werde sie nach § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen. Der Beklagte halte sich mit dem Erlass dieses Bescheids im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens. Es sei bei dem vorliegenden Sachverhalt gerechtfertigt, vorrangig den Haftungsschuldner a...