Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die förmliche Zustellung von Schriftstücken nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften (Vorschriften der Prozessordnungen und der Gesetze, die die Verwaltungszustellung regeln – § 33 Absatz 1 des Postgesetzes –) eine Post-Universaldienstleistung nach Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 97/67/EG vom 15. Dezember 1997 (Post-Richtlinie)?
2. Sollte die Frage 1. zu bejahen sein:
Ist ein Unternehmer, der die förmliche Zustellung von Schriftstücken nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften durchführt, ein "Anbieter von Universaldienstleistungen" im Sinne des Artikels 2 Nummer 13 der Richtlinie 97/67/EG vom 15. Dezember 1997, der die Leistungen des postalischen Universaldienstes ganz oder teilweise erbringt, und sind diese Leistungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steuerfrei?
Normenkette
§ 4 Nr. 11b UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. a EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 3 Abs. 1, Abs. 4, Art. 8 EGRL 97/67, § 11 Abs. 1, Abs. 2, § 33, § 34 PostG, § 1 Abs. 1 und 2 PUDLV
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A‐GmbH (A). Die A betrieb bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahre 2011 ein Unternehmen, dessen Geschäftsgegenstand insbesondere die Ausführung von Postzustellungsaufträgen war. A beantragte in 2010 beim BZSt, ihr eine Bescheinigung über die "Umsatzsteuerbefreiung in Bezug auf das Produkt Postzustellungsaufträge (PZA) gemäß §§ 176ff. ZPO" nach § 4 Nr. 11b UStG zu erteilen. Das BZSt lehnt dies ab. Die Klage zum FG hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 9.12.2015, 2 K 1715/11, Haufe-Index 9305860, EFG 2016, 774).
Entscheidung
Der BFH legte dem EuGH die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vor und setzte das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus. Das Vorabentscheidungsersuchen ist beim EuGH unter dem Az. C-5/08 (Rs. Eisenbeis) anhängig.
Hinweis
1. Die Steuerfreiheit von Post-Universaldienstleistungen setzt nach § 4 Nr. 11b UStG in seiner ab dem 1.7.2010 geltenden Fassung insbesondere voraus, dass der Unternehmer sich gegenüber dem BZSt verpflichtet hat, flächendeckend die Gesamtheit von Universaldienstleistungen i.S.v. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG (Post-Richtlinie) oder einen Teilbereich dieser Leistungen anzubieten.
Nach Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie gehören zu den Post-Universaldiensten die Zustellung von Postsendungen bis 2 kg (erster Spiegelstrich) und die Zustellung von Postpaketen bis 10 kg (zweiter Spiegelstrich).
2. Streitig ist, ob die Ausführung von förmlichen Zustellungen eine Universaldienstleistung i.S.v. Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie ist.
Bei einer förmlichen Zustellung wird das mit Zustellungsauftrag zuzustellende Dokument oder Schriftstück an die Post oder einen entsprechenden Dienstleister in einem verschlossenen Umschlag und ein vorbereiteter Vordruck einer Zustellungsurkunde übergeben, die nach der Zustellung wieder an die Stelle zurückgelangt, die den Zustellungsauftrag erteilt hat (vgl. z.B. § 176 Abs. 1 ZPO und § 182 Abs. 3 ZPO).
Auch eine förmliche Zustellung ist eine Zustellung von Postsendungen oder Postpaketen, sodass die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 4 der Post-Richtlinie dem Grunde nach erfüllt sein können. Es kann sich bei der förmlichen Zustellung um den Spezialfall einer Zustellung von Postsendungen handeln, der sich vom Grundtatbestand der Postsendung nur durch das Hinzutreten eines weiteren Merkmals wie die Beurkundung der Übergabe und Rückgabe der Zustellungsurkunde unterscheidet.
3. Zweifelhaft ist zudem, ob ein Unternehmer, der im Wesentlichen förmliche Zustellungen für Gerichte und Verwaltungsbehörden ausführt, als Anbieter von Universaldienstleistungen i.S.v. Art. 2 Nr. 13 der Post-Richtlinie gelten kann. Denn nach Art. 3 Abs. 1 der Post-Richtlinie soll den Nutzern ein Universaldienst zur Verfügung stehen, der ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet. Diese Voraussetzung ist möglicherweise nicht erfüllt, wenn Auftraggeber bei förmlichen Zustellungen nicht "alle Nutzer" sind, sondern in erster Linie Gerichte und Verwaltungsbehörden, sodass diese Form der Zustellung anderen Nutzern nur mittelbar zugutekommt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 31.5.2017 – V R 8/16