Leitsatz
Dem Großen Senat wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Verstößt das BMF-Schreiben vom 27.3.2003, IV A 6 S 2140 8/03 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22.12.2009, IV C 6 S 2140/07/10001 01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung?
Normenkette
§ 85, § 163, § 184 Abs. 2, § 227, § 251 Abs. 2 AO, Art. 107, Art. 108 AEUV, § 3 Nr. 66 EStG, § 7 Satz 1 GewStG, § 8c KStG
Sachverhalt
Der Kläger wies vom Jahr 2001 bis 2006 fortlaufend Verluste aus dem von ihm betriebenen Baufachhandel aus. Er hatte fällige Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten i.H.v. 1,75 Mio. EUR. Die Kreditinstitute verzichteten in einer Rückzahlungsvereinbarung auf "die nicht bedienbaren Forderungen" in Höhe von 620.000 EUR für den Fall, dass der Kläger seinen Verpflichtungen aus der Vereinbarung ordnungsgemäß und termingerecht nachkomme. Ende 2007 teilten sie dem Kläger, nachdem dieser die vereinbarten Summen gezahlt hatte, mit, sie verzichteten nunmehr auf die Restforderung. Das FA setzte die ESt 2007 fest unter Berücksichtigung eines Gewinns aus Gewerbebetrieb, in dem die Erträge aus den Forderungsverzichten enthalten waren. Die Steuerfestsetzung wurde bestandskräftig.
Der Kläger beantragte daraufhin den Erlass der auf den Sanierungsgewinn des Jahres 2007 entfallenden ESt und legte ein – von ihm selbst aufgestelltes – Konsolidierungskonzept vom September 2009 vor. Das FA lehnte den Erlassantrag ab, da die Voraussetzungen des Sanierungserlasses nicht vorlägen. Das FG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, es könne offenbleiben, ob der Schuldenerlass im Jahr 2007 die Voraussetzungen des Sanierungserlasses erfülle, da der dem Willen des Gesetzgebers entgegenstehende Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße (Sächsisches FG, Urteil vom 24.4.2013, 1 K 759/12, Haufe-Index 5516766, EFG 2013, 1898).
Entscheidung
Aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen entschied sich der X. Senat, die Frage, ob der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, dem Großen Senat vorzulegen.
Hinweis
Bis zum VZ 1997 waren Sanierungsgewinne nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. steuerfrei. Um eine nicht gewollte Doppelbegünstigung zu vermeiden, wurde diese Vorschrift durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (BGBl I 1997, 2590) abgeschafft, sodass seitdem Sanierungsgewinne grundsätzlich steuerpflichtig sind und über § 7 GewStG die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage erhöhen. Die Finanzverwaltung hat mit dem BMF-Schreiben vom 27.3.2003, IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; sog. Sanierungserlass) auf der Grundlage der §§ 163, 227 AO geregelt, unter welchen Voraussetzungen Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn aus Gründen sachlicher Billigkeit erlassen werden können.
Spätestens nachdem das FG München mit Urteil vom 27.5.2005 (EFG 2004, 1572) entschieden hatte, dem Sanierungserlass fehle die Rechtsgrundlage und ihm stehe der durch die Streichung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. manifestierte Willen des Gesetzgebers entgegen, bestanden und bestehen in diesem gerade in Krisenzeiten so wichtigen Punkt erhebliche Unsicherheiten in der Steuerpraxis, ob der Sanierungserlass angewandt werden kann.
Zwar hatte der X. Senat mit seinem Urteil vom 14.7.2010, X R 34/08 (BFH/NV 2010, 1881, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916) – allerdings nicht tragend – die Rechtsauffassung vertreten, der Sanierungserlass tangiere den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht; andere Senate des BFH äußerten aber – ebenfalls nicht tragend – Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Sanierungserlasses (vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 28.2.2012, VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135; BFH, Urteil vom 25.4.2012, I R 24/11, BFH/NV 2012, 1516). Die Rechtsprechung der FG ist ebenfalls uneinheitlich.
Um Rechtssicherheit zu schaffen und diesen für die Rechtspraxis sehr unbefriedigenden Rechtszustand möglichst schnell und endgültig zu beenden, hat sich der X. Senat entschlossen, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage den Großen Senat anzurufen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 25.3.2015 – X R 23/13