Rz. 113

Der Praxiswert stellt regelmäßig die wesentliche Betriebsgrundlage eines Freiberuflers dar.[1] Darunter ist die über den Substanzwert einer freiberuflichen Praxis hinausgehende Gewinnaussicht zu verstehen, die sich aus dem Vertrauen der "Kunden" in die Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit des Praxisinhabers ergibt[2]; s. § 6 EStG Rz. 311. Der Praxiswert ist an die Steuerberater- oder Rechtsanwaltspraxis (also an die organisatorische Einheit mit ihren Sachmitteln wie Praxisräume, Praxiseinrichtung, Büropersonal) gebunden.[3] Der derivative (entgeltlich erworbene) Praxiswert ist ein abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut, das in der Bilanz mit den Anschaffungskosten anzusetzen und abzuschreiben ist.[4] Für die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer gilt nicht § 7 Abs. 1 S. 3 EStG (15 Jahre), sie ist zu schätzen und beträgt 3 bis 5 Jahre bei Einzelpraxen und 6 bis 10 Jahre bei Sozietäten.[5]

Der Mandantenstamm (bzw. Patientenstamm) ist vom Praxiswert zu unterscheiden. Der Mandantenstamm kann selbstständig übertragen oder verpachtet werden[6] und teilt nicht zwangsläufig das rechtliche Schicksal eines Praxiswerts. Der Mandantenstamm eines Freiberuflers kann damit als selbstständig übertragbares Wirtschaftsgut vom Praxiswert i. w. S. abgespalten werden mit der Folge, dass möglicherweise ein gesonderter Praxiswert i. e. S. (z. B. durch den Wert der Lage der Praxis und die konkreten Beratungsmöglichkeiten) verbleibt und steuerrechtlich gesondert zu beurteilen ist.[7]

Der wirtschaftliche Vorteil einer Vertragsarztzulassung bei Erwerb einer Arztpraxis ist neben dem erworbenen Praxiswert kein gesondert zu bewertendes Wirtschaftsgut, sondern dessen wertbildender Faktor.[8] Erwirbt der Käufer i. d. S. eine Vertragsarztpraxis als "einheitliches Chancenpaket", lassen sich die Anschaffungskosten nicht in solche für den Erwerb des immateriellen Wirtschaftsguts "Praxiswert" und andere immaterielle Wirtschaftsgüter (wie den "Vorteil aus einer Vertragsarztzulassung" oder einen Patientenstamm) aufteilen.[9]

[1] Zur Bewertung einer Rechtsanwaltskanzlei BRAK-Mitteilungen 2018, 6ff.; Sühling/Schwitte, NWB-BB 2021, 239, zur Bewertung einer Steuerberatungskanzlei; BGH v. 9.2.2011, XII ZR 40/09, BFH/NV 2011, 1096: Der BGH hat das reine Ertragswertverfahren für die Bewertung einer Zahnarztpraxis für unzureichend befunden; BSG v. 14.12.2011, B 6 KA 39/10 R, BSGE 110, 34: Festsetzung des Verkehrswerts einer psychotherapeutischen Praxis.
[6] FG Münster v. 24.6.2021, 10 K 2506/18 F, rkr., Haufe-Index 14826038: Überlassung eines Mandantenstamms einer Steuerberaterkanzlei an eine Kapitalgesellschaft.
[8] BFH v. 9.8.2011, VIII R 13/08, BFH/NV 2011, 1960; s. dazu auch van Kerkom, BB 2008, 1896.

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