Carsten Schmitt, Prof. Dr. Bert Kaminski
Rz. 76
Vor dem Vz 2008 war die Anrechnung nicht durch die tatsächlich gezahlte GewSt begrenzt. Eine Anrechnung konnte auch dann erfolgen, wenn der Hebesatz in der Betriebsstätten-Gemeinde 0 % betrug. Dies ist nun nicht mehr der Fall, indem die Anrechnung auf die tatsächlich zu zahlende GewSt beschränkt wurde. Hingegen stellt der Gesetzgeber nicht auf die tatsächlich gezahlte GewSt ab. Folglich ist auf die Steuer abzustellen, die im GewSt-Bescheid festgesetzt worden ist.
Rz. 77
Dies hat zur Folge, dass – bei Vernachlässigung des SolZ (Rz. 80ff.) – eine vollständige Neutralisierung der GewSt nur dann erfolgen kann, wenn der Hebesatz nicht höher als 400 % ist. Liegt er hingegen oberhalb dieses Werts, verbleibt wirtschaftlich betrachtet ein Anrechnungsüberhang, d. h., ein Teil der GewSt führt nicht zu einer Entlastung bei der ESt. Insoweit erfolgt eine Verringerung der ESt. bis auf den Wert von 0 EUR, aber nicht darunter.
Kein Anrechnungsüberhang
Ein Einzelunternehmer betreibt seine Tätigkeit in Hamburg (gewerbesteuerlicher Hebesatz von 470 %). Unter Vernachlässigung von gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen und Kürzungen, des Freibetrags und der Abrundung entsteht hieraus die folgende Belastung:
GewSt = Gewerbeertrag × 470 % × 3,5 %
GewSt = Gewerbeertrag × 16,45 %
ESt-Entlastung = Gewerbeertrag × 3,5 % × 4
ESt-Entlastung = Gewerbeertrag × 14 %
Die Differenz i. H. v. 2,45 % (= 16,45 % – 14 %) führt beim Einzelunternehmer zu keiner Entlastung.
Rz. 78
Anrechnungsüberhänge führen aus wirtschaftlicher Sicht dazu, dass die eigentlich mit § 35 EStG verfolgte Zielsetzung nicht vollständig erreicht wird. Im Schrifttum werden Forderungen an den Gesetzgeber erhoben, das Entstehen von Anrechnungsüberhängen mithilfe einer gesetzlichen Änderung zu verhindern (z. B. durch eine Rück- und Vortragsregelung oder durch einen Abzug in Anlehnung an § 34c Abs. 2 EStG). Allerdings könnte dies möglicherweise die Verfassungsmäßigkeit der GewSt oder der Anrechnung nach § 35 EStG infrage stellen (Rz. 20ff.), weil damit möglicherweise die finanzverfassungsrechtlichen Grundlagen nicht ausreichend beachtet wären. Letztlich wird deutlich, dass eine Entlastung bei der ESt nur schwerlich geeignet sein kann, die Vorbelastung mit GewSt zielgenau zu neutralisieren.
Rz. 79
Ist der in der jeweiligen Gemeinde geltende Hebesatz geringer als 401 %, kommt es zu einer Begrenzung der maximal möglichen Anrechnung. Damit beeinflussen die Hebesätze in den jeweiligen Gemeinden indirekt die Höhe des Ermäßigungsbetrags.
Niedriger Hebesatz hat Einfluss auf den Ermäßigungsbetrag
Der Einzelunternehmer E betreibt sein Unternehmen in der Gemeinde A, die einen Hebesatz in Höhe der gesetzlichen Untergrenze des § 16 Abs. 4 S. 2 GewStG, also von 200 %, erhebt. Weitere Betriebsstätten bestehen nicht. Der GewSt-Satz ergibt sich als 3,5 % × 200 % = 7 %. Nur in dieser Höhe kann E eine Anrechnung auf seine ESt vornehmen, nicht aber in Höhe der 14 % (= 4 × 3,5 %). Allerdings wird auf den GewSt-Messbetrag abgestellt, sodass möglicherweise eine stärkere Verringerung der Steuerbelastung erfolgen kann, als es 7 % der auf das z. v. E. entrichteten Steuer entspricht. Hierfür ist die Höhe der jeweils relevanten Hinzurechnungen und Kürzungen entscheidend.
Rz. 80
Außerdem sind die Auswirkungen auf den SolZ zu berücksichtigen. Sofern eine Anrechnung von GewSt auf die ESt erfolgt, wird damit die festgesetzte ESt i. S. v. § 3 Abs. 2 SolZG als Bemessungsgrundlage für den SolZ verringert. Insoweit kann auch unter Anwendung der derzeitigen Fassung eine stärkere steuerliche Entlastung erfolgen, als eine Belastung mit GewSt tatsächlich gegeben ist, weil die Anrechnung mittelbar zu einer geringeren Belastung mit SolZ führt.
Auswirkung der Steuerermäßigung auf den SolZ
Ein Einzelunternehmer hat einen Gewinn vor Steuern von 100.000 EUR und unterliegt einem ESt-Satz von 45 %. Die Tätigkeit wird alternativ in einer Gemeinde mit einem gewerbesteuerlichen Hebesatz von 200 %, 400 % und 450 % ausgeübt.
Hebesatz |
200 % |
400 % |
450 % |
Gewinn vor Steuern |
100.000 |
100.000 |
100.000 |
GewSt |
7.000 |
14.000 |
15.750 |
ESt |
45.000 |
45.000 |
45.000 |
Anrechnung § 35 EStG |
7.000 |
14.000 |
14.000 |
Verbleibende ESt |
38.000 |
31.000 |
31.000 |
SolZ |
2.090 |
1.705 |
1.705 |
Gesamtsteuerbelastung |
47.090 |
46.705 |
48.455 |
Die Berechnung zeigt, dass die Gesamtsteuerbelastung beim gewerbesteuerlichen Hebesatz von 400 % ihr Minimum erreicht. Ursächlich dafür ist, dass mit einem steigenden Hebesatz eine zunehmende Anrechnung erfolgt, sodass sich dadurch die Bemessungsgrundlage für den SolZ verringert. Bis zu einem Hebesatz von 400 % erfolgt eine vollständige Anrechnung der steigenden GewSt auf die ESt. Da bei einem höheren Hebesatz eine weitere Erhöhung der anrechenbaren GewSt ausscheidet, kommt es insgesamt zu einem Anstieg der Steuerbelastung.
Rz. 81
Da das Aufkommen aus dem SolZ ausschließlich dem Bund zufließt (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG), wurde damit mittelbar ein Anreiz für die Gemeinden geschaffen, ihre Hebesätze...